Bild: Partisan Records

Platte des Monats: September '25

Geese – Getting Killed

/ / Bild: Partisan Records

„Amerikas aufregendste Rockband“ – in so hohen Tönen lobt das GQ Magazine die New Yorker Band Geese. Das Urteil überrascht wenig: Im Schaffensprozess dieser jungen Rockgruppe scheint jeder Bestandteil nach seiner eigenen Pfeife zu tanzen. Mit „Getting Killed“ ist am 26. September 2025 nun ihr viertes Studioalbum erschienen.
Auf „Getting Killed“ präsentieren Geese Musik wie aus einem Kunstprojekt: Das elf Tracks umspannende Album ist ein Wirbel aus stürmisch-sardonischen, zwischen Gesang und Geheul hin- und herschwenkenden Vocals und Percussion-Beats, die ihrem eigenen Rhythmus folgen. Es ist vielleicht, was der Musiklandschaft im Jahr 2025 noch gefehlt hat: Rockmusik, die sich nicht davor scheut, ihre eigene Stimme zu haben, ein abenteuerlicher Hürdenlauf, der an die Klänge der Pioniere moderner Musik erinnert.

MUSIK FÜR EINE SCHÖNE NEUE WELT

Gekonnt knüpfen Geese an die verzweifelt-überforderte Gravitas ihrer Zeitgenossen an: Ein identitätsstiftender Zeitgeist, dessen Manifestierung sich schon jetzt abzuzeichnen beginnt. Als spirituelle Nachfolger ähnlich gelobter Releases wie dem 2024 erschienenen Fontaines DC- Albums „Romance“ scheinen Geese ein generationales Thema der neuen modernen Ängstlichkeit einzufangen
und in ihren eigenen Klängen weiterzuspinnen. Nicht fern liegt die Feststellung, dass hier Großes geschaffen wird, und das auf jedem Track und mit jedem kleinsten, streng platzierten Ton.

„Getting Killed“ erlaubt allen Teilnehmenden eine eigene Stimme. Dass sich dabei immer wieder mehrere, teils sogar alle Instrumente gegenseitig überlappen, sich musikalisch regelrecht auf die Füße treten und den Weg verspielen, ist kein Hindernis. Denn trotz seines maximalistischen Überschwangs und seiner theatralisch-jaulenden Dramatik entsteht zu keiner Stelle ein Gefühl des Überflusses. Vielmehr wirkt die Überforderung absichtlich eingesetzt, um eine Kulisse zu transportieren, die im Album immer wieder durchscheint: Die Überforderung des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die Furcht um die eigene, aus den Fingern gleitende Jugend, die Dringlichkeit, etwas zu hinterlassen, das bedeutend ist und bleibt.

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Getting Killed von Geese

ZWISCHEN VELVET UNDERGROUND UND RADIOHEAD

„I can’t relate to desperation“, säuselte Pop-Superstar Sabrina Carpenter noch 2024 in ihrem Sommerhit „Espresso“. Ganz im Gegensatz scheint Geese sich die Verzweiflung schamlos auf die große Fahne zu schreiben. Nicht nur musikalisch, sondern auch lyrisch scheint das Album an allen Seiten von Unsicherheit, Unbehagen, und Reue nur so zu triefen.

Wie auf ihren ersten drei Alben stammen die Texte auf „Getting Killed“ überwiegend aus der Feder von Singer-Songwriter Cameron Winter. Dessen lyrische Stimme ist dabei weniger eine Stimme der Poesie als eine Stimme der realen Verzweiflung. Besonders greifbar ist dieser besondere Eindruck der Verzweiflung im Text, der sich teils wie der verwirrt-distanzierte Monolog eines betrunken nach Hause stolpernden Mittzwanzigers, teils wie ein gen Himmel gerichtetes Stoßgebet liest. „And Joan of Arc, she warned / The Lord has a lot of friends / and in the end / he’ll probably forget he’s met you before“, singt Winter auf „Long Island City Here I Come“, dem textlich stärksten Track des Albums. Noch in den Endnoten des fast siebenminütigen musikalischen Epos gibt er zu: „I have no idea where I’m going / Here I come.“

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Long Island City Here I Come von Geese

EIN ALBUM, DAS STANDARDS SETZT

Woran man einen „Instant Classic“ in Zeiten des Streaming erkennt, darüber dürfte zu streiten sein. Ein unverkennbares Gütesiegel grundbrechender Musik ist und bleibt jedoch ihre Eigenschaft, nach rund zwei Jahrhunderten moderner Musikgeschichte noch ehrlich zu verblüffen. Ein Siegel, das sich Geese mit „Getting Killed“ wohlverdient selbst verleihen dürfen.

Damit soll nicht behauptet werden, dass Geese mit ihrem neuen Album komplett unberührte Schneisen schlagen. Der Einfluss vorhergehender Ikonen der Musik ist unbestreitbar: Naiv-klirrende Gitarren-Arpeggios auf den Tracks „Half Real“ und „Cobra“ gleichen mit verblüffender Treue dem wegweisenden Werk von The Velvet Underground und Cameron Winters klagend-johlende Vocals erinnern bisweilen an Radiohead. Wie bisher keinem anderen Release im Jahr 2025 gelingt Geese mit „Getting Killed“ vor allem eines: Das Erklimmen eines ganz eigenen, noch lang nicht zur Genüge ausgeschöpften Plateaus der Kunst.

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Half Real von Geese

MUST-LISTEN

Trinidad
Getting Killed
Half Real
Bow Down
Long Island City Here I Come