
Buchkritik
Kühl statt einfühlsam? “Die Assistentin” von Caroline Wahl
Ihr Debütroman 22 Bahnen wurde 2023 sofort ein Bestseller. Danach legte Caroline Wahl mit der Fortsetzung Windstärke 17 nach, die ebenfalls von der Kritik gelobt und als Verkaufsschlager durchgestartet ist. Nun ist ihr dritter Roman „Die Assistentin“ erschienen, der trotz hoher Erwartungen nicht an die bisherigen Erfolge anknüpfen kann.
Charlotte ist jung, ehrgeizig und bereit, mit dem neuen Job als Assistentin ihrer Verlagskarriere Schwung zu verschaffen. Dafür lässt sie so Einiges hinter sich: Die Eltern, die alte Heimat, den Traum des Musikstudiums, den Wunsch, am Meer zu leben. Und im Laufe der Zeit auch die einzige Person, die ihr in der neuen Stadt München wirklich wichtig wird. Doch der Job, der ehrlicherweise auch gar nicht so vielversprechend gestartet ist, entpuppt sich als ‚riesengroße Fehlentscheidung‘.
Zuckerbrot und Peitsche
Der Chef ist exzentrisch, launisch, ja geradezu unberechenbar. Sein Lob katapultiert die Protagonistin in einen Höhenflug, doch wagt Charlotte nur den kleinsten Fehltritt, nimmt er das zum Anlass ausartender Schimpftyrraden und Boshaftigkeiten. So erzählt „Die Assistentin“ die Geschichte eines Arbeitsverhältnisses, dass ungesund viel Raum einnimmt und von einem Mann, der seine Machtposition gnadenlos ausnutzt – und dessen Umfeld diese andauernden Grenzüberschreitungen ermöglicht.
Abrupt und dramatisch drehte er sich mit einem „Wenn Sie die grundlegenden Aufgaben nicht hinbekommen, dann weiß ich auch nicht, wie das funktionieren soll!“ um, verschwand in seinem Zimmer und strafte die Assistentinnen für die folgenden Stunden mit Nichtachtung. Keine Anrufe, Keine Aufträge. Von sich aus wagten sich die beiden natürlich nicht in die Höhle des Löwen, aber irgendwann überwand sich Charlotte dann doch und klopfte, um ihn zu fragen, ob sie ihm was zu essen bestellen dürfte. Er war am Telefon, als sie ins Zimmer lugte, und schaute sie nicht mal an, während er eine wegwerdende Handbewegung machte, die ihr das sofortige Abtreten befahl.
Caroline Wahl – “Die Assistentin”
Was als interessante Prämisse startet, bleibt jedoch oft wenig tiefgreifend.

Vorausblenden und Zeitsprünge
Hätte Wahl diese Geschichte auch in einem nuancierten Stil und mit deutlicherem Seitenhieb auf größere gesellschaftliche Missstände erzählen können, schafft sie jedoch viel Distanz zwischen ihrer Protagonistin und den Leser:innen. Das mag beabsichtigt sein, tut der Erzählung aber keinen Gefallen. Zwar ist die Sprache wie auch in den beiden vorausgegangenen Romanen der Autorin fließend und leicht, was die Leser:innen schnell in die Erzählung hineinzieht. Jedoch entstehen sowohl durch den geradezu penetrant eingesetzten Vornamen der Protagonistin in der dritten Person als auch durch Abschnitte, die aus einer Metaperspektive auf den eigenen Roman blicken und immer wieder Vorausblenden und Zeitsprünge beinhalten, so viele Brüche, dass es schwerfällt, wirklich mit Charlotte mitzufühlen.
An dieser Stelle eine kleine zeitliche Raffung, weil Charlotte nicht stolz ist auf die riesengroße Fehlentscheidung, die sie getroffen hat, obwohl sie von Anfang an spürte, dass es eine riesengroße Fehlentscheidung werden könnte. Und natürlich ist es jetzt auch egal, weil vorbei, und sogar in gewisser Hinsicht gut, weil Charlotte ohne die riesengroße Fehlentscheidung jetzt nicht Musikerin wäre.
Caroline Wahl – “Die Assistentin”

Kühl statt einfühlsam?
Caroline Wahl hat damit definitiv eine andere erzählerische Richtung eingeschlagen. Die Stärke ihrer ersten beiden Romane ist, wie die Leser:innen der Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonist:innen nahekommen können, wie wirklich ein Empfinden für die Charaktere entsteht. „Die Assistentin“ hingegen bleibt geradezu kühl – trotz der unzumutbaren Zustände, die die Protagonistin aushält. Ein im Konzept interessanter stilistischer Bruch, der leider nicht so richtig geglückt ist. Stellen wie diese, an denen wir mit Charlotte mitfühlen, bleiben eher selten:
Wenn Charlotte auf Instagram manchmal alte Schulkameraden, Kommilitonen oder Arbeitskollegen verfolgt, die mit anderen Menschen Zeit verbringen, reisen, essen oder feiern, fragt sie sich schon, wie sich das anfühlt, wenn man so enge Freunde hat, mit denen man viel Zeit verbringt, die man sofort anrufen oder besuchen kann, wenn es einem nicht gut geht. Auf deren Bett man sich dann schmeißt, als ob es das eigene wäre, jammert und mit denen man dann vielleicht gemeinsam „Comfort Food“ bestellt, damit es einem besser geht. Wie fühlt es sich an, Freunde zu haben, mit denen man im Nachtzug nach Barcelona fährt mit denen man sich über Quatsch kaputtlacht, die Nacht durchtanzt usw.? Bestimmt fühlt sich das nicht schlecht an, schätzt Charlotte. Aber sie braucht das nicht.
Caroline Wahl – “Die Assistentin”
Die Geschichte trägt sich trotzdem, und wenn es mal zäh wird, dann ist das Erleben der Lesenden eine gute Parallele dazu, wie sich Charlotte – eingeengt und machtlos in diesem toxischen Arbeitsverhältnis – wohl gefühlt haben könnte. Doch wer ähnliche Feinfühligkeit wie in Wahls bisherigen Romanen erwartet, wird danach in „Die Assistentin“ wohl eher vergeblich gesucht haben.
“Die Assistentin” von Caroline Wahl ist beim Rohwolt-Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro.