Filmkritik

Tár

/ / Cate Blanchett stars as Lydia Tár in director Todd Field's TÁR, a Focus Features release. Credit: Courtesy of Focus Features

In der Charakterstudie Tár über eine fiktionale Dirigentin am höchsten Punkt ihrer Karriere inszenieren Regisseur Todd Field sowie Hauptdarstellerin und -attraktion Cate Blanchett den Fall einer komplizierten Frau.

Mit den falschen Erwartungen kann Tár ein langwieriger, ja fast langweiliger Film sein. Zunächst das Offensichtliche: Er dauert zweieinhalb Stunden und die Länge ist an einigen Stellen deutlich spürbar. Wer also in den Film geht und einen packenden Psychothriller erwartet, der wird schnell abschalten. Der Film setzt seinen Fokus viel eher auf die Person Lydia Tár (Cate Blanchett) und lässt seine Spannung nur über erst kleine und dann größer werdende Ungereimtheiten und zwischenmenschliche Konflikte aufkochen. Tár ist ein langsamer, aber definitiv kein langatmiger Film, dem am Ende keinesfalls die Puste ausgeht.

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Nein, es ist kein Thriller, auch wenn es den Anschein erweckt: Der Trailer zu Tár

A Stár Is Reborn

Das Wort Fokus wird in Tár aber sowas von Großgeschrieben. Cate Blanchett konstruiert dabei eine Figur, die hinter einer weiteren konstruierten Figur steht. Die Person Tár kontrolliert die Art, wie sie wahrgenommen wird vollkommen. Ihre Assistentin spricht vom Publikum aus leise den genauen Wortlaut der Fragen mit, denen Tár in einem Interview ausgesetzt ist. Ihre etlichen Rituale in Form von Gesten und gemurmelten Worten, vor dem Komponieren eines Stücks oder vor einer ihrer Auftritte, wirken wie das Errichten von Schutzmauern. Sie trägt ihre Anzüge wie eine Rüstung, hat aber stets die absolute Kontrolle – bis sie diese Stück für Stück verliert. Und genau dieser langsame, aber auf lange Sicht enorm schädliche Prozess ist exakt der Aspekt des Filmes, der ihn so interessant macht.

Lydia Tár (Cate Blanchett) verliert im Verlauf des Films immer mehr die Kontrolle. Coypright: Florian Hoffmeister / Focus Features

Persona Non Gratár

Tár ist dabei in erster Linie die Dekonstruktion eines Archetyps. Das “geplagte Genie” Tár verliert langsam die Kontrolle über jeden einzelnen Aspekt ihres Lebens, scheitert an ihren eigenen Taten und muss von vorne beginnen oder sich zerstören. Obwohl das kein neues Konzept ist, unterscheidet sich der Film von anderen Werken wie The Wolf of Wallstreet oder The Social Network darin, dass es um den Untergang einer Frau in einem männerdominierten Feld geht. Was hat Lydia Tár getan, um dahin zu kommen wo sie ist? Gibt es in ihrem Umgang mit Macht über andere Menschen einen Unterschied zu den Männern um sie herum? Es ist erfrischend, einen “Genie-Film” über eine Frau zu sehen, selbst wenn er manchmal selbst nicht weiß, was er genau sagen will.

Lydia Tár mit ihrer Protegé Olga Metkina (Sophie Kauer). Copyright: Florian Hoffmeister / Focus Features

Blutárme Umsetzung

Todd Field macht viele Themen auf: Machtmissbrauch, den Unterschied zwischen Sein und Wahrnehmung oder Cancel Culture. Aber viele von diesen Themen bleiben angeschnitten, ohne dass der Film etwas über sie aussagt. Alles, was in dem Film passiert, steht in Relation zu seiner Protagonistin, was zu einer präzisen und interessanten Sezierung der Figur führt, dem Film aber ein Bein stellt, wenn es um die Behandlung von seiner Thematik geht. Tár ist ein fantastischer Film, wenn er als reine Charakterstudie gesehen wird. Als soziale Kritik oder Mystery-Thriller verliert er aber sehr schnell an Faszination.

Tár läuft seit dem 02. März im Verleih von Universal in den deutschen Kinos.