Kommentar

Der Pflichtdienst ist praktisch Zwangsarbeit

/ / Bild: M94.5 / Andre Wengenroth

Ein Gespenst geht herum in der Republik. Das Gespenst des Pflichtdienstes. In den letzten Wochen geistert wiederholt der Vorschlag durch die Medien, junge Leute könnten für einen bestimmten Zeitraum – beispielsweise ein Jahr lang – im Dienste des Staates und der Gemeinschaft arbeiten. Explizit wird dabei oft die Pflegebranche erwähnt, wo ein solches Konzept gegen den akuten Personalmangel helfen könnte. Das wirkt auf den ersten Blick sinnig, auf den zweiten jedoch schlecht durchdacht.

Nicht nur würde man damit jungen Leuten ein Jahr ihres Lebens klauen. Auch der Arbeitsmarkt würde in eine Bredouille kommen, wenn plötzlich ein ganzer Abschlussjahrgang für ein Jahr fehlt. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem sich bereits jetzt Arbeitgeber:innenverbände permanent über einen Fachkräftemangel beschweren.

Von G9 zu G8 – und wieder G9

Die ganze Situation wirkt umso abstruser, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass erst vor wenigen Jahren in einigen Bundesländern das Abitur von neun auf acht Jahre verkürzt wurde, um die Absolvent:innen schneller dem Arbeitsmarkt zuzuführen. Zwar hat Bayern die Verkürzung schon wieder rückgängig gemacht. Das macht aber die Situation für den Arbeitsmarkt nur noch schlimmer, weil sowieso ein Abiturienten-Jahrgang mit mehr als 25.000 Schüler:innnen fehlt.

Fehlendes Interesse

Ein gerne genutztes Argument ist, dass Leute durch einen Pflichtdienst beispielsweise in der Pflegebranche ihr Interesse an derartigen Berufen entdecken würden. Das ist fast schon zynisch. Der Grund für das fehlende Interesse an derartigen Berufen sind schlichtweg die vorliegenden Arbeitsbedingungen. Noch dazu: Wer heutzutage das Interesse hat, mal in derlei Berufe reinzuschnuppern, kann bereits jetzt ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren.

Und auch die zu Pflegenden wären sicherlich nicht begeistert davon, wenn die Pfleger:innen, die für sie arbeiten, mit denen sie täglich in Kontakt stehen, per Zwang dort wären. Das kann für keine der beiden Seiten zufriedenstellend sein.

Wohlfahrtsverbände lehnen den Pflichtdienst ab

Auch die Wohlfahrtsverbände lehnen aus genau diesen Gründen einen derartigen Pflichtdienst ab. Dass sich die Debatte nach deren Ablehnung überhaupt noch fortsetzt, ist eigentlich absurd. Wer, wenn nicht sie, sollte wissen, wie es um die Notwendigkeit eines Pflichtdienstes bestellt ist?

Und letztlich ist der Vorschlag eines Pflichtdienstes auch ein Schlag ins Kontor aller hauptberuflichen Arbeitnehmer:innen, beispielsweise in der Pflegebranche. Eine derartige Forderung untergräbt die Verhandlungsmacht dieser Arbeitnehmer:innen. Noch deutlicher kann die Politik nicht kommunizieren, dass man lieber Leute zu wortwörtlicher Zwangsarbeit verpflichtet, bevor man die Konditionen in der Branche verbessert.