Kommentar

Das perfekte Bild der Kleinfamilie unterm Christbaum – längst überholt?

/ / Bild: M94.5 / Vroni Kallinger

Der feierliche Gang durch den Schnee zur Kirche… Üppiges Essen mit der ganzen erweiterten Familie… Kinder, die unter dem Weihnachtsbaum musizieren, bevor sie die Geschenke öffnen… Aber ist das Bild von der heterosexuellen Kleinfamilie nicht schon längst überholt? Kerstin Thost geht der Bedeutung der Kleinfamilie am Beispiel von Weihnachten nach und findet: das Fest der Liebe ist in der klassischen Familienkonstellation nicht mehr zeitgemäß.

Die “Verantwortungsgemeinschaft” im neuen Koalitionsvertrag

Mit der neuen Ampel-Koalition soll jetzt eine neue Bezeichnung den bestehenden Familienbegriff ablösen: Verantwortungsgemeinschaft. Damit könnten zwei oder mehr sich nahestehende Personen eine eingetragene Einheit mit gesetzlichen Rechten bilden. Denn:

Familie ist vielfältig und überall dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen.

Ampel-Koalitionsvertrag, S. 100.

Bedeutungsverlust der klassischen Kleinfamilie?

Damit reagiert die neue Bundesregierung auf den Verlust traditioneller bedeutungsgebender Strukturen wie der Familie, aber auch der Religions- und Klassenzugehörigkeit. Auch wird oft von der zahlenmäßigen Abnahme der Institution Ehe gesprochen, wie auch von der Zunahme von Regenbogenfamilien. Diese sind quasi Gegenteil zur traditionellen heterosexuellen Kleinfamilie – bestehen also oft aus mehr als zwei elterlichen Bezugspersonen sowie queeren Partner:innenschaften. Diese Erkenntnisse sollten auch endlich im Vorfeld zu Weihnachten berücksichtigt werden.

Natürlich muss dabei auch berücksichtigt werden, dass die Sozialisation von Kindern immer noch vorwiegend in der Kleinfamilie stattfindet – ob wir das wollen oder nicht. Die ersten Bezugspersonen, vor allem Eltern, haben entwicklungspsychologisch einen großen Einfluss auf einen Menschen. Immer noch sind diese Bezugspersonen meist heterosexuelle Eltern. 

Selbst wenn sich vollständig von den Eltern gelöst wird, geht das nicht spurlos an einem vorüber. Denn ein vollkommener Kontaktabbruch zur Familie kann einen deutlichen Einschnitt in der Biografie darstellen. So hat die Familie immer noch einen großen Einfluss selbst wenn sie nicht klischeemäßig zusammen hält.

Die solidarische Wahlfamilie

Manche queere Personen würden am Beispiel von Weihnachten wahrscheinlich gegen die Bedeutung der biologischen Familie argumentieren. Denn in ihrer Herkunftsfamilie haben sie teilweise mit so starken Diskriminierungen zu kämpfen, dass sie das Fest der Liebe lieber im alternativen Freund:innenverband verbringen. 

Wahlfamilien sind für Queers unter anderem deshalb entscheidend, weil sie Einsamkeit und damit psychischen Krankheiten vorbeugen. Queers leiden statistisch gesehen öfter an psychischen Krankheiten, weil sie systematischer Diskriminierung ausgesetzt sind. Diese Solidarität wird auch in der Soziologie als entscheidend für Familienstrukturen aller Art anerkannt. 

Fest steht: Familie gibt es nicht mehr im Singular, sondern nur im Plural. Denn die Konzepte, die man darunter versteht, werden immer diverser. So verschwindet die Familie ansich nicht, sondern die emotionale und soziale Verantwortung verteilt sich nur auf mehrere Schultern. Denn ein Ort von gegenseitiger Wertschätzung und Geborgenheit bleibt immer wichtig. Auch bei der “heiligen” Familie handelt es sich um ein alternatives Familienkonzept, weil Josef sein nicht-leibliches Kind Jesus wie sein eigenes aufzog.