M94.5 Filmkritik

Astrid

/ / Bild: DCM / Erik Molberg Hansen

„Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar“ – das ist das vielleicht berühmteste Zitat der schwedischen Autorin Astrid Lindgren. Keines könnte die junge Astrid, wie die dänische Regisseurin Pernille Fischer Christensen sie im neuen Film “Astrid” darstellt, besser beschreiben. Ganz so wunderbar ist der Film leider trotzdem nicht.

Schweden, 1924 

Astrid ist noch keine Autorin und sie heißt auch noch nicht Lindgren. Sie ist einfach nur ein schwedischer Teenager, der gerne tanzen geht und in der Schule die schönsten Aufsätze schreibt. Sie rebelliert gegen ihre Eltern, weil sie genauso spät heimkommen will wie ihr Bruder. Und sie fährt Fahrrad durch eine Landschaft, die in jedem Skandinavien-­Fan ein ziependes Sehnsuchts-­Gefühl hinterlässt. Vimmerby – ihr Heimatort – ist wunderbar, aber Vimmerby ist zu klein für so ein wildes Herz. Und so bricht der Film relativ schnell mit der unbeschwerten Bullerbü-­Romantik.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Astrid läuft ab dem 06. Dezember in den deutschen Kinos

Nach ihrem Schulabschluss beginnt Astrid ein Volontariat bei der örtlichen Presse – eine bemerkenswerte Karriere für ein Mädchen aus einer christlichen Bauernfamilie. Der Chefredakteur ist nicht nur von Astrids Schreibtalent angetan, aus dem gemeinsamen Interesse an der Arbeit wird bald mehr als Zuneigung. Die Kameraführung macht relativ schnell klar: Das ist keine gute Entscheidung! Viel zu jung und mädchenhaft sieht das Gesicht der 18-­jährigen Astrid (sehr gut verkörpert von der 23-­jährigen Newcomerin Alba August) neben dem 30 Jahre älteren ihres Vorgesetzten aus. Als Zuschauer will man jetzt einfach nur laut „Stopp!“ rufen.

Aber im wirklichen Leben gibt es keine Zuschauer-­ Zurufe. Astrid Ericsson wird 1925 schwanger, als sie noch nicht einmal volljährig ist. Obendrein von einem verheirateten Mann, der dafür im Schweden der 1920er ins Gefängnis kommen könnte. Wider die Konventionen ihrer Zeit bekommt Astrid ihr Kind, allerdings muss sie es die ersten Jahre bei einer Pflegemutter verstecken. Ihren Sohn nennt sie Lasse, wie einen ihrer späteren kleinen Helden aus dem Buch Wir Kinder aus Bullerbü.

Ist das der Grundstein einer weltberühmten Schriftstellerinnen-Karriere?

Von der ersten bis zur letzten Minute ist der Film durchwebt von Zitaten aus Briefen von Kindern an die spätere Schriftstellerin Astrid Lindgren. „Liebe Astrid, ich frage mich, warum du so gut darüber schreiben kannst, wie es ist, ein Kind zu sein“, hört man die Kinderstimmen zum Beispiel sagen. Immer wieder kommentieren die Fragen der Kinder die Lebensereignisse im Film. Zu sehr mit dem Zaunpfahl winkend scheinen sie zu sagen: Diese Frau musste früh erwachsen werden, innerlich ist sie aber immer ein Kind geblieben und genau darum konnte sie diese Geschichten schreiben, die Kinder auf so einzigartige Weise verstehen. Das kann man rührend finden, aber auch platt.

Mehr als die geistige Mutter von Pippi, Madita & Co.

Ganz klar: Astrid Lindgren ist eine der größten Kinderbuchautorinnen überhaupt. Aber wird man ihr als Mensch gerecht, wenn man sie nur unter diesem Label betrachtet? Während der Kriegsjahre arbeitete sie für den schwedischen Geheimdienst in der Abteilung für Briefzensur. Schwedens Premierminister schenkte ihr zum Geburtstag ein Tierschutzgesetz, da sie sich zeitlebens nicht nur für Kinder-­, sondern auch für Tierrechte einsetzte. Schade also, dass der Film Astrid die bewegten Jugendjahre Lindgrens nur mit ihrem späteren Autorinnen-­Dasein verknüpft. Mehr noch: Durch die immer wieder eingesprenkelten Kinderfragen suggeriert der Film, nur aus ihrer Biographie heraus hätte Lindgren ihre Kinderbücher schreiben können. Auf ihren Lebenslauf angesprochen, sagte Lindgren in einem Interview selbst: „Ich wäre ganz bestimmt trotzdem Schriftstellerin geworden“, wenn auch im Nachsatz: „aber keine weltberühmte.“

Trotzdem: Astrid ist ohne Frage ein guter Film, der es schafft, die frühen Jahre der schwedischen Nationalheldin ohne Kitsch zu porträtieren, auch wenn er Lindgrens Lebensgeschichte vielleicht etwas zu einseitig erzählt. Mut macht er trotzdem. Denn auch wenn Lindgrens Jugendzeit nicht unbeschwert war und inzwischen fast 100 Jahre zurückliegt: Ein Leben so frech und wild und wunderbar wie das dieser Astrid aus Vimmerby kann sich jeder nur wünschen.

“Astrid” läuft ab dem 06. Dezember 2018 in den deutschen Kinos.