Uisenma Borchu im M94.5 Interview

“Eigentlich haben Frauen immer das Sagen”

/ / Quelle: Panorama Entertainment

Mit Schwarze Milch, einem semi-autobiografischen Film, geht Uisenma Borchu zurück an ihre mongolischen Wurzeln. In rohen, sinnlichen Bilden wirft die Geschichte zweier Schwestern wichtige Fragen auf: über Modernität, Weiblichkeit und Nationalität. M94.5 hat die Regisseurin und Hauptdarstellerin zum Interview getroffen.

Das Interview im M94.5 Programm, am 22. Juli 2020
Szene aus Schwarze Milch: Ossi tröstet Wessi

Schwarze Milch:

Mongolei – Wir stehen in einer Jurte . Eine Frau gießt sich frische Ziegenmilch über den Körper. Milch, das kostbarste Gut in der Wüste.

Hier, im Nirgendwo, treffen zwei Schwestern nach langer Zeit aufeinander. Wessi, in Deutschland aufgewachsen trifft auf Ossi, eine mongolische Nomadin. Neben der Kollision zweier Kulturen wirbelt ein innerlicher, persönlicher Konflikt auf: Über die Bedeutung von Modernität, aber auch über die Emanzipation der Frau zwischen Konvention und Freiheit. Regisseurin und Hauptdarstellerin Uisenma Borchu erzählt roh, bildgewaltig und sinnlich eine semi-autobiografische Geschichte.

Wir treffen uns in München. Hier hat Uisenma Borchu Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) studiert. Ihr Debut, der Dokumentarfilm Donne-moi Plus (2007) wurde unter der Kategorie Next Generation auf dem Filmfest in Cannes gezeigt. Auch mit ihren anderen Filmen hat Borchu bereits zahlreiche Preise abgeräumt. Sie arbeitet als Regisseurin und Schauspielerin. Im M94.5 Interview spricht sie über Schwarze Milch.

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Der Trailer zum Film “Schwarze Milch”, von und mit Uisenma Borchu


Mongolische Milch

M94.5: Milch ist ein zentrales Thema im ganzen Film. Wie schmeckt Milch in der Mongolei?

Uisenma Borchu: Ich würde sagen sehr pur. Ich habe jetzt auch letztens erst gelesen, dass sie in der Mongolei wirklich sehr wertvoll ist, auch ökologisch gesehen. Weil die Tiere dort noch nicht so industriell verarbeitet werden. Daher kann ich nur sagen: gute Milch!

Jetzt ist Milch ja auch immer mit dem Thema Weiblichkeit und Frau verbunden. Eigentlich zwingend. War das auch ein Grund, warum du das für den Film als zentrales Thema und auch als Titel gewählt hast?

Ja, ich denke, das ist alles so miteinander verbunden. Als ich das Drehbuch geschrieben habe, wusste ich vielleicht intuitiv noch nicht, wie ich überhaupt auf den Titel komme. Es ist diese eine Szene, die ich dann mitten im Film hatte: die symbolisiert für mich die Kraft der Frauen und das, wofür sie eigentlich so verkannt werden.

Zwei Frauen, ein Leben

Der Film ist ja ein relativ persönlicher Film. Er trägt den Untertitel “Zwei Frauen, ein Leben”: dein Leben? Wieviel von dir persönlich ist in diesen Film geflossen?

Ich habe natürlich die Parallele mit beiden Schwestern, zu Wessi und zu Ossi. Es ist ganz klar die Sehnsucht, die ich gespürt habe, DAS neu zu finden, was ich damals als Kind hinter mir gelassen habe, als ich aus der Mongolei wieder nach Deutschland gezogen bin.

Das hinterlässt einfach Wunden in Jemandem, und wenn du jetzt langsam älter wirst: du fängst an, darüber zu reflektieren. Du reflektierst deine Zugehörigkeit über Rassismus, Arroganz, und daher hab ich natürlich mit Wessi sehr viel gemeinsam.

“…das neu zu finden, was ich damals als Kind hinter mir gelassen habe, als ich aus der Mongolei wieder nach Deutschland gezogen bin. Das hinterlässt einfach Wunden”

Uisenma Borchu als Wessi im Film Schwarze Milch
Wessi lässt ihren Freund in München zurück. Er hat kein Verständnis für ihre innere Sehnsucht.
Quelle: Panorama Entertainment

Der ganze Film bebildert diese Gegensätze der beiden Schwestern: Helle und dunkle Haut, die Enge und die Weite der Wüste. So entsteht der Konflikt dieser beiden Kulturen. Hast du das Gefühl, dass es für dich persönlich befreiend war, sich damit auseinanderzusetzen, oder war es auch einfach eine große Herausforderung?

Ja, es war von beidem etwas. Es ist natürlich schwierig, denn wir hatten ja ein sehr kleines Team, weil wir auch unabhängig bleiben wollten, haben in der Wüste gedreht, auch mit Nomaden, die Laiendarsteller sind. Das ist alles nicht so easy gewesen.

Ich habe mich aber auch thematisch mit dem Konflikt auseinandergesetzt, sich überhaupt mit den Nomaden dort in der Mongolei zu treffen und zu sagen: “Okay, das ist eigentlich mein Geburtsort. Da komme ich her. Das sind meine Leute. Wo stehe ich dazu im Bezug?” Das hat mir schon sehr viel gegeben.

Szene aus Schwarze Milch: Ossi und Wessi in der Wüste
Ossi un Wessi in der mongolischen Wüste
Quelle: Panorama Entertainment

“Im Rythmus mit der Natur” – Was ist eigentlich modern?

Kannst du sagen, was du für dich als Mongolin, als Deutsche oder vielleicht auch als Frau gelernt hast?

Ich glaube, die Nomaden haben mich jeden Tag total beeindruckt. Wir mussten uns auch als Filmteam unterordnen, so wie die Nomaden sich der Natur unterordnen. Das ist für mich eine gelebte Modernität, die wir einfach so nicht kennen. Klar, eine westliche Frau, die sich hier in München Badewasser einlässt, ist modern, könnte man denken und sagen.

Aber ich finde es dann wiederum aktueller bzw. viel wichtiger, wenn man die Natur wirklich schätzt und auch nach ihr lebt. Weil wir merken ja, dass das Leben jetzt langsam begrenzt wird. Und diese Einstellung der Nomaden hat mich sehr beeindruckt, weil sie die ganze Lebenseinstellung – Was wir modern und altmodisch finden – komplett neu definieren. Selbstverständlich möchte ich auch gerne nach der Natur leben und nicht andersherum.

Es bricht einfach den Begriff “modern” neu auf. Das heißt Fortschritt und Modernität sind nicht mehr nur mit Technik sondern vielmehr mit Natur verbunden.

Ja, das finde ich schon. Ich finde, dieser Aspekt ist ziemlich gut gedacht und wenn man das wirklich umsetzen kann, dann denkt man vorwärts. Das sollten wir vielleicht mal. Es gibt genug Leute, die das schon beherzigen.

Mit diesem Aspekt der Natur schwingt ja auch die Spiritualität mit, die auch in deinem Film eine große Rolle spielt. Warum?

Ich denke schon, dass das alles voller Energie ist. Ich war vor ein paar Tagen auch wieder in den Alpen, bei der Zugspitze. Da merkst du einfach: die Natur hat einen ganz eigenen Rhythmus. Es ist total wichtig, wie man sich selbst in diesem Rhythmus wiederfindet und ich glaube, diese innere Uhr oder unseren Instinkt…davon haben wir uns mehr oder weniger immer weiter entfremdet. Wenn man sich selbst wieder fühlt, sich selbst wieder schmeckt, sich selbst doch leiden kann. – Wenn wir uns nicht immer in irgendetwas wiederfinden, was wir eigentlich gar nicht sind.

Das ist ja nicht nur ein kultureller Konflikt, sondern auch ein sehr persönlicher mit uns selbst, oder?

Ja, das finde ich schon. Es ist überhaupt nicht leicht. Es hört sich manchmal ein bisschen albern und spirituell an. Aber wenn du irgendwie deine eigene Stimme wieder findest oder weißt, was du eigentlich willst im Leben….Also, ich glaube, da sind so viele Menschen, die haben damit ein riesiges Problem. Es ist ja auch leichter, sich davon abzuwenden und einfach unser gesellschaftliches Leben ganz systematisch nur in diesem Rahmen weiterzuführen. Weil dann gibt’s ja schon die Regeln und ich brauche gar nicht weiter nachzudenken.

“Wir haben ja Jahrhunderte auf dem Buckel, in denen die Frauen unterdrückt wurden, aus den dümmsten, perfidesten Gründen.”

Mongolische und deutsche Machos

Würdest du sagen, dass das als Frau auch nochmal eine andere Rolle spielt als als Mann?

Ja, natürlich. Wir haben ja Jahrhunderte auf dem Buckel, in denen die Frauen unterdrückt wurden, aus den dümmsten, perfidesten Gründen. Wir entwickeln uns leider auch ein bisschen zurück, und wir lassen uns jetzt wieder in Schubladen stecken. Allein schon die Schönheitsideale einer Frau: Wir machen das ja auch so hübsch mit und ich denke mir auch jedes Mal: Mein Gott! Mach doch mal, änder dich doch mal! Es kann ja nur von innen kommen.

Absolut. Und wie ist das in der Mongolei? Wo ist der Unterschied der Rolle der Frau in der Mongolei im Vergleich zu Deutschland?

Ich habe ja meine Cousine spielen lassen. Sie spielt meine Schwester und sie hat dann auch von vornherein gemeint: “Ich kann sehr gerne in eine Nomaden-Frau spielen aber eine Stadt-Frau kann ich nicht spielen. Wir hatten sehr viele Gespräche, weil das Frau-Sein eben so anders definiert wird. Ich schätze das absolut, weil sie sagt von sich, dass sie eher traditionell ist und dass sie schon Probleme hat mit meinen emanzipierten Einstellungen.

Gleichzeitig bewundere ich aber die Nomaden-Frauen, die das Leben draußen in Wüste so gut wie möglich meistern und das, obwohl die Männer schon ziemlich die Ordnung führen im Sinne von: “Ich komme dann-und-dann wieder und wenn du das nicht fertig hast, dann müssen wir das meinetwegen gemeinsam machen.” Oder “Nur ich darf als Mann das Tier schlachten, du musst auf mich warten!” leider, all solche Sachen. Es gibt ja sehr viele Regeln, was die Frau nicht darf, und trotzdem ist sie sehr stark und hat das Sagen.

Szene aus dem Film Schwarze Milch: Die Familie empfängt Wessi (Uisenma Borchu) in der Jurte
Wessi wird von ihren Verwandten in der Wüste begrüßt.
Quelle: Panorama Entertainment

“Die Frauen haben im Endeffekt hinter der Fassade immer das Sagen – ob nun die Familie, die Kinder, das Essen oder die wichtigen Entscheidungen.”

Das kommt ja eigentlich in dem Film auch ganz schön rüber: Wie sehr die Frauen dort den Alltag tragen.

Ja, ich finde das total gleich, wie das was ich hier in Deutschland erlebt habe oder sonst wo. Die Frauen haben im Endeffekt hinter der Fassade immer das Sagen – ob nun die Familie, die Kinder, das Essen oder die wichtigen Entscheidungen. Wir wissen ja, wie so Macho-aufgeladene Typen immer ihr Theater aufführen müssen aber wie es dann zuhause aussieht, ist klar. Das sehe ich immer wieder in der normalen Welt oder auch in der moderneren, hier bei uns in Westeuropa. Das ist immer das gleiche Schema.

Würdest du dann sagen, gerade weil du diesen Hintergrund hast, musstest du diesen Film auf jeden Fall in der Mongolei drehen?

Ja, ich denke, es kam so aus mir heraus, ich hab das auch nicht geplant. Ich wusste schon: irgendwann möchte ich einen Film in der Mongolei machen. Aber weil ich auch selbst zwischen Deutschland und der Mongolei immer hin und her switchen musste, kam das aus mir heraus. Das ist ehrlich, sonst hätte ich auch nicht selbst mitgespielt und ich kann so am meisten geben und versuchen, immer einen subtileren Weg zu finden. Und so ist dann der Film auch geworden.

Ehrlich sein

Was würdest du denn jungen Filmemacher an die Hand geben oder ans Herz legen, wenn sie sich mit solchen Themen auseinandersetzen möchten?

Wenn man einen Film schreibt, dann kann man natürlich als erstes versuchen, ehrlich zu sein und selbst, das ist schwierig. Alles andere kommt dann von selbst. Aber diese Grundlage, dass du vor dir selbst keine Angst hast und mal versuchst, etwas herauszuholen, was vielleicht nur dich betrifft und dann kannst du den universellen Einfluss finden.

Schwarze Milch ist ab dem 23. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.