Macht:Wort

Rassifizierung

/ / Bild: M94.5 / Katharina Mecheels

Rassismus ist ein strukturell tief verankertes, ideologisches Problem. Er wurde und wird, wenn wir uns ihm nicht kontinuierlich und gemeinsam mit vollem Einsatz entgegenstellen, auch weiterhin von Generation zu Generation weitergegeben. Welch große Rolle die Sprache dabei spielt, welche Macht sie innehat, wird an vielen Beispielen deutlich. Eines davon ist der Begriff der sogenannten „Rassifizierung“. 

Rassismus im Grundgesetz?

Der Begriff „Rassifizierung“ bezeichnet die Praktik, Menschen anhand vermeintlicher „Rassen“ zu kategorisieren. Dass der Begriff „Rasse“ auf Menschen faktisch überhaupt nicht anwendbar ist, jedoch trotzdem noch in unserem Grundgesetz verwendet wird, ist problematisch. Denn die Idee einer „Rasse“, wie sie in der Zeit der Aufklärung entstand, wird heute noch genutzt, um rassistische Diskriminierung zu begründen. Rein wissenschaftlich ist diese Einteilung per se nicht möglich, denn um Lebewesen in Arten oder Gattungen zu unterteilen, müssen sich ihre genetischen Abstammungslinien klar voneinander unterscheiden. Wir Menschen sind alle der Gattung Homo sapiens zugehörig, weshalb eine Unterscheidung gar nicht in Frage kommt.

Ausschnitt aus Artikel 3 des GG / Bild: M94.5

Der Gesetzestext soll sich allerdings bald ändern. Was einen Schutz gegen Diskriminierung manifestieren soll, transportiert in dieser Ausführung nämlich gleichzeitig eine durch die Geschichte Deutschlands sehr negativ aufgeladene Wortwahl. Und das, obwohl die Theorie, Menschen seien in verschiedene, biologische „Rassen“ einteilbar, eben längst von aktueller Forschung widerlegt ist. 

Herbert Heuss, wissenschaftlicher Leiter des deutschen Zentralrats der Sinti*zze und Rom*nja, sagt, dass auch innerhalb des Rats viel diskutiert wird.

Der Zentralrat begrüßte […] die Forderung nach einer Debatte um die Streichung des Begriffs „Rasse“ aus dem 1949 in Kraft getretenen Grundgesetz und damit eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem wieder erstarkten Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland.

Herbert Heuss im M94.5 Interview

Nicht zeitgemäß 

Um noch besser zu verstehen, warum dieser Begriff im Zusammenhang mit Menschen in der heutigen Zeit nicht länger tragbar ist, müssen wir uns vor allem den Ursprung bewusst machen. Der Begriff und das Konstrukt menschlicher „Rassen“ bildete das Fundament für den Kolonialismus und später auch für Imperialismus, den völkischen Rassenideologien des 19. und 20. Jahrhunderts und den Holocaust. Es entstand eine grausame Ideologie, nach der Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen „Rasse“ kategorisiert, bewertet und dementsprechend behandelt wurden. Im dritten Reich wurden dann auf perfide Weise vermeintlich wissenschaftliche, biologische Begründungen konstruiert, die den Kern der Rassenideologie der Nazis bildete. Die Folge waren die grausame Verfolgung, Versklavung und Ermordung von Abermillionen Menschen in beispielloser Form. 

Der im Jahr 1949 implementierte Gesetzestext war eine Reaktion auf die abscheulichen Gräueltaten Nazi-Deutschlands, man wollte sich klar distanzieren und sicherstellen, dass niemand mehr (aufgrund seiner „Rasse“) Benachteiligung erfahren sollte. Die verstörendsten Kapitel der Menschheitsgeschichte, in denen weiße Menschen auf Basis der von ihnen selbst konstruierten Ideologie vermeintlicher menschlicher „Rassen“ unendliches Leid verübten, zeigen uns allerdings, welch traurige Geschichte der Begriff „Rasse“ trägt. 

Seit einigen Jahren ist immer wieder die Rede von „kriminellen Roma-Clans“ – es ist offensichtlich, daß hier die Ersetzung des Begriffs „[Z-Wort]“ durch „[Rom*nja]” allein den bestehenden strukturellen Rassismus in neuem Gewand zeigt. Mit anderen Worten: es reicht nicht, sich an der „[Z-Wort]-Sauce“ abzuarbeiten und dafür die konkreten materiellen Formen des Antiziganismus zu ignorieren, die menschenunwürdigen Lebensbedingungen einer sehr großen Zahl von Roma in Südosteuropa und besonders den Ländern des Westbalkan – hier wird deutlich, dass die Debatte um die „[Z-Wort]-Sauce“ am Kern des Antiziganismus weit vorbeigeht und vielmehr die Gefahr besteht, die Auseinandersetzung mit Rassismus ins Lächerliche zu ziehen.

Herbert Heuss im M94.5 Interview

Gleicher Schutz, andere Formulierung 

Im Bundestag sind sich mittlerweile alle Fraktionen (mit Ausnahme der AfD) darüber einig, dass der Begriff „Rasse“ nicht mehr im Grundgesetz verwendet werden soll. Es geht darum, sich wegen seiner diskriminierenden Bedeutung vom Begriff zu lösen, das gesetzliche Schutzniveau vor rassistischer Diskriminierung dabei unverändert zu bewahren. In Artikel 3 soll in Zukunft dann ein Verbot von Diskriminierung „aus rassistischen Gründen“ formuliert werden. 

[…] Wichtig ist es dem Zentralrat Deutscher [Sinti*zze und Rom*nja], daß bei jeder Änderung in diesem Zusammenhang der Schutzbereich des GG in keiner Weise eingeschränkt werden darf. […]

Herbert Heuss im M94.5 Interview

Die Änderung ist nur eine der 89 geplanten Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus des Kabinettsausschusses. Die Pläne zeigen aber, dass Worte eine Wirkung haben und weiterhin mehr Bewusstsein für rassistische Sprache geschaffen werden muss.

Mehr Infos gibt es im M94.5-IGTV-Format macht:wort. Es erklärt Begriffe und deren Kontext, um den Wortschatz hin zu einer diskriminierungsfreien Sprache zu erweitern. In Folge 10 geht es um Rassifizierung.