M94.5 Filmkritik

Parasite

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Von der Gesellschaft verprügelt und auf Rache aus: Systemkritik und die Kluft zwischen Arm und Reich. Ein Thema das auch im Kino nie alt wird. Nein das hier ist keine Empfehlung für Hollywood’s Joker! (Der wird eh schon zu Genüge diskutiert). Es ist ein Appell sein letztes Taschengeld lieber in einen anderen Film zu stecken: Parasite. Zugleich ist es eine Lobeshymne auf richtig gute Nudelsuppen.

Wie Parasiten haben sich die Lobeshymnen durch diesen Film gefressen. Regisseur Bong Joon-ho hat es geschafft, den koreanischen Film aus der Nische zu holen. Bekannt geworden durch Snowpiercer oder Okja, holte er sich im Frühjahr mit Parasite die Goldene Palme. Zurecht. Denn was der Erfolgsregisseur hier abliefert, ist großes Kino. 

Eine Hoch-zeit aus Horror und Humor

In gewohnter Manier nimmt er eine populistisch angehauchte Sozialkritik und verpackt sie kurzerhand in einer unterhaltsamen und packenden Mischung aus Thriller und Tragikkomödie. Horror heiratet Humor!

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Die „Parasiten“ sind Familie Kim. Zusammengepfercht wohnen sie in einer  ärmlichen Wohnung, die regelmäßig überflutet wird. Sie falten Pizzakartons um sich – buchstäblich – über Wasser zu halten. Um sie herum: eine Stinkwanzen-Plage oder eben der Geruch der Unterschicht, der sie durchgehend umgibt. 

Ein Hoch auf die Verschrobenheit

Bong beweist hier sein liebevolles Händchen für schrullige Charaktere: allen voran Chung-Sook (Song Kang Ho), dem chaotisch-unbeholfenen Familienoberhaupt der Kims. Mit einem verschlagenen Grinsen reibt er sich die Hände. Denn plötzlich ergibt sich die Gelegenheit, Position für Position im Haushalt einer stinkreichen Familie zu übernehmen. Nicht zuletzt weil sich die Tochter der Kims als begnadete Dokumentenfälscherin entpuppt. Das Theater kann beginnen.

„If I would have all this, I would be kinder“

(Mutter der Familie Kim) 

Ein Hoch auf das kritische Kino

Cineastisch brillant umgesetzt bleiben die glatt inszenierten Bilder von Parasite mindestens genauso im Kopf wie der tief-schwarze Humor. Immer weiter schaukelt sich die Komödie hoch, bis sie schließlich in einen Thriller überschwappt, ohne dabei ansatzweise zimperlich zu bleiben.

Und wer Chung-Sooks breites, hinterlistige Grinsen sieht, wird die Kims gleichsam ins Herz schließen und befremdlich wie humorvoll finden. Ein Lachen wird gekonnt in einen bitteren Beigeschmack verwandelt werden. Der Klassenkampf Koreas zeigt sein hässliches Gesicht und fühlt sich beunruhigend realitätsnah an.

Ein Hoch auf gute Nudelsuppen

Wenn die Dekadenz der Oberschicht auf das verschrobene Existenzminimum trifft, klingt das ein bisschen nach Todd Phillips’ Joker – könnte man meinen. Im Vergleich zu Parasite irrt die Gesellschaftskritik des „kontroversen“ Hollywood-Blockbusters aber eher oberflächlich durch die Großstadt, endet plakativ. Parasite wirkt drängender. Auch wenn er selbst die eine oder andere überzogene Karte spielt.

Begibt man sich mal in die metaphorische Nudelküche (wir wollen ja mit asiatischen Klischees spielen), dann ist Parasite eine dampfende, scharfe Portion koreanischer Nudelsuppe, die auch den westlichen Gaumen erfreut: frisches, lokales Gemüse und eine auf den Punkt abgeschmeckte Brühe, gewürzt nach Art des Chefs. Ein Film wie Joker wäre dann vermutlich die Instant-Tüten-Nudelsuppe. Er schmeckt gut, ist einfach und effektiv zubereitet und schmeckt auch um 12 Uhr Mitternacht. Nur sollte er als Nudelsuppe nicht allzu ernst genommen werden.

Tolle Bilder gibt es bei Parasite. (Bild: Capelight)

Filmisch gesehen ist Umsetzung hier das große Stichwort. Mit unglaublichem Fingerspitzengefühl verstrickt Regisseur Bong Ästhetik, klassische Musik, Horror und Humor in einem perfekten Timing, ohne sich an abgenutzten Töpfen zu bedienen. Das wirkt am Ende so viel zielgerichteter, subtiler und auch überraschender. Parasite bringt den Zuschauer zum Lachen, Zusammenzucken und hält ihn 131 Minuten lang fest am vorderen Rand des Kinosessels, ohne dabei an der Oberfläche zu bleiben.

Parasite ist ab dem 16. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.