Auf dem Rad durchs Atlasgebirge

Olivenöl für die Lippen

/ / Bild: Jonathan Hines / www.jonnyhinesphoto.com

1145 Kilometer, 20 000 Höhenmeter, 3 Checkpoints auf der Strecke und etwas mehr als sieben Tage Zeit. Das Ganze auf dem Fahrrad und mitten durchs Atlasgebirge in Marokko. Mehr als 190 Teilnehmer aus verschiedenen Ländern haben die Herausforderung angenommen und sind am 15. Februar in Marrakesch beim ersten Atlas Mountain Race an den Start gegangen.

Team-Power aus Deutschland

Das erste Radrennen dieser Art war es für Alexander Bethge, der gemeinsam mit Marc Lehmann als Team teilgenommen hat. „Das Atlas Mountain Race ist ein self-supported Biking Race. Das heißt, du darfst keine Hilfe von außen annehmen“, erklärt Alex, der in der Vergangenheit an Moutainbike-Rennen teilgenommen hat und zwei Jahre lang in der deutschen Nationalmannschaft war.

Marc Lehmann und Alexander Bethge auf ihren Bikes
Bild: Nils Laengner / http://nilslaengner.de/

Einen Preis gab es für die Finisher nicht abzuräumen. „Das zählt ein bisschen zum Kodex dieser Rennen“, erklärt Alexander Bethge, „es geht um das Überwinden der eigenen Grenzen und die Challenge an sich, nicht um Preisgelder.“ Neben Beruf und Familie auch noch Zeit für die Vorbereitung zu finden, war für den 40-Jährigen eine Herausforderung: „Ich habe versucht, wieder regelmäßig und mit einem gewissen Rhythmus Rad zu fahren. Ganz gezielt habe ich meine Trainingsfahrten auch im Gelände absolviert, um die Bedingungen zu simulieren“, sagt Bethge zu seinem Trainingsprogramm. Eine Schwierigkeit sei die Jahreszeit gewesen: „Die Bestätigung zum Rennen kam Anfang Oktober. Von daher war die Vorbereitungszeit recht begrenzt.“ Alexander Bethge erzählt, mit welchem Equipment er sein Gravel-Bike beladen hat: „Isomatte, Schlafsack und Biwaksack waren unser Schlafequipment. Wechselkleidung, Regenbekleidung, Handschuhe, Beleuchtung, Nahrung in Form von Riegel und Nüssen, Getränkepulver und Elektrolyttabletten und Ersatzwerkzeug hatten wir dabei. Es war viel, aber man versucht, sich auf das Wesentliche zu reduzieren.“

Trotz des Gepäcks macht das Rad einen kompakten Eindruck. Bild: Marc Lehmann

Radeln bis zur Erschöpfung

Beeindruckende Landschaften und verschiedene Felsformationen zeichnen die Strecke durch das Atlasgebirge für Alexander Bethge aus. „Meine schönste Erinnerung sind die Sonnenaufgänge, in die wir morgens gefahren sind. Wir sind meistens um sechs Uhr losgefahren, gegen acht waren die Farben und Lichtkontraste sehr schön“, erinnert er sich. Auch Begegnungen mit internationalen Teilnehmern, die man auf der Strecke immer wieder trifft, bleiben in Erinnerung. Dass die Strecke durch das Atlasgebirge die Sportler an ihre Grenzen treibt, hat das Team deutlich gespürt. Die letzten Kilometer vor dem Zielort, der Küstenstadt Agadir, hatten es in sich: „Bei unserer letzten Etappe sind wir 300 Kilometer durchgefahren, waren 27 Stunden unterwegs und komplett am Ende. Die letzten sechs Kilometer gingen durch losen Strandsand – eine Mischung aus Schieben, Fahren, Abspringen und Laufen“, berichtet Bethge von der Zielgeraden. Nachdem diese absolviert war und sie nach 5 Tagen, 23 Stunden und 45 Minuten ankamen, befanden sie sich laut Bethge in einem Gefühlschaos aus Erschöpfung, Wut, “In-ein-Loch-fallen”, Unglauben und später natürlich sehr großer Freude.

Gefühlschaos in Agadir.
Bild: Nils Laengner /  http://nilslaengner.de/

Von den Erlebnissen auf der Tour berichtet Alexander Bethge in einem Blogartikel.

Nicht zum ersten Mal dabei

Grund zur Freude hatte auch Sofiane Sehili. Der Franzose errang den Sieg in der Einzelwertung. Normalerweise arbeitet er als Fahrradkurier in Frankreich. Den Radsattel ist er also mehr als gewohnt. Im Februar ist der 38-Jährige aus Paris mit seinem Fahrrad in den Flieger nach Marokko gestiegen. Zuvor ist er schon in Wettbewerben in Italien, Taiwan, Peru und den USA gestartet. Beim Atlas Mountain Race ist der marrokanische Boden Neuland für ihn. „In einem neuen Land weiß man nie, was man dort zu Essen bekommen kann und wie die Öffnungszeiten in den Geschäften sind. Auch den Zustand der Straßen kennt man nicht. In Marokko hatte ich keine Ahnung, wie die Strecke sein würde und die Straßen waren tatsächlich in einem sehr schlechten Zustand. An viele Dinge denkt man vorher gar nicht zwingend – zum Beispiel ist es komplizierter, wenn man die Sprache dort nicht spricht.“ Für die Vorbereitung sollte man einige Zeit einplanen: „Das könnte jetzt etwas überraschend sein, aber ich denke, dass man mehrere Jahre braucht, um sich auf so ein Rennen vorzubereiten“, sagt Sofiane Sehili.

Manchmal muss man das Rad auch tragen. Bild: Jonathan Hines/  www.jonnyhinesphoto.com

Taktik: Wenige Pausen

Es sind kleine Geschichten und Erinnerungen, die im Gedächtnis bleiben: „Am dritten Tag habe ich abends Pause bei einem kleinen Laden gemacht. Meine Lippen waren von der Sonne völlig verbrannt, ich hatte meinen Stick daheim vergessen. Ein Mann im Geschäft sprach Französisch und fragte, ob ich etwas brauche. Für meine Lippen habe ich dann ein kleines Gefäß mit Olivenöl bekommen, das ich auftragen sollte. Das hat ein kleines bisschen geholfen.“ Die Teilnehmer entscheiden selbst, wie viel Pause sie machen und wie sie sich Nahrung beschaffen. „Ich bin nicht derjenige, der am schnellsten fährt“, erklärt Sehili, „aber ich mache die wenigsten Pausen.“ Und seine Taktik ist aufgegangen: In nur drei Tagen, 21 Stunden und 50 Minuten hat er als Erster den Zielort Agadir erreicht.