Theaterkritik

Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer

/ / Bild: Heinz Holzmann

Die „beunruhigende Gleichzeitigkeit von Erinnerung und Gegenwart“ will das Künstlerkollektiv RAUM & ZEIT darstellen, und im Stück über Erika Mann, die zeitlebens im Schatten der großen Männer ihrer Familie stand, ist ihnen das definitiv gelungen. Erstmals präsentieren nun auch die Münchner Kammerspiele eine Online-Premiere unter der Regie von Bernhard Mikeska, mit „Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer“.

Vier Schaukästen und zwei Perspektiven: Gespenster an den Münchner Kammerspielen
Bild: Heinz Holzmann

Beunruhigend ist es schon zu Beginn: Erika (Svetlana Belesova) steht in einem von vier Schaukästen, die quadratisch auf der Bühne angeordnet sind; nicht jung, nicht alt, haarlos und mit zu stark nachgezogenen Augenbrauen. Das Neonlicht macht die Stimmung irgendwie schrill und dunkel zugleich. Dass es ein Traum war, redet sie sich ein, ein nackter Junge, eine Badewanne, ein alter Mann. Satzteile in englischer Sprache. Und dieser Traumdramaturgie folgend, tritt ihr jüngeres Ich außen an die Glasscheibe.

Zeigen mit der Zigarette: Svetlana Belesova als Erika Mann
Bild: Heinz Holzmann

Es ist der Sommer 1969, den Erika Mann nicht überleben wird. Die junge Erika (Katharina Bach) kommt nicht allein, sie hat ihren Bruder (Bernardo Arias Porras) dabei und gemeinsam sind sie ein überladen-sinnliches Duo, das der vom Tumor gezeichneten Frau ihre Versäumnisse und Fehler vor den Latz knallt. Der Text von Lothar Kittstein ist dabei ungewöhnlich literarisch und überzeugt mit schnellen Dialogen und vereinzelten Reimen.

Katharina Bach als junge Erika Mann: alles zwischen Kalauern (“Frau Mann”) und verwirrender Nähe
Bild: Heinz Holzmann

Erinnerung und Gegenwart verschwimmen

Eine Handlung gibt es in diesem Sinne nicht. Es sind Stränge der Erinnerung und vergangene Ereignisse, die immer wieder aufleben und mit der Wirklichkeit verschwimmen, die Fetzen von Sätzen in die Stille werfen. Anfangs geht es noch um das Stück Geschwister von Klaus Mann, welches 1930 an den Kammerspielen selbst Premiere hatte. Klaus, der geliebte Bruder, der ungewollt die Schwester mit seinen eigenen Problemen und seiner Kunst in den Schatten stellte. Es ist Liebe zwischen Geschwistern, aber wie weit diese geht, bleibt nur angedeutet. Das Schauspiel ist hier wirklich ein Spiel, das alle Facetten auskostet. Man merkt den Darstellenden die Freude an, wieder auf einer Bühne zu stehen.

Bernardo Arias Porras als Klaus Mann / der Bruder / der Stricher
Bild: Heinz Holzmann

Ein Traumreigen mit Tempo

Schließlich tritt noch Thomas Mann (Jochen Noch) auf, der von seinen Kindern nur „der Zauberer“ genannt wurde. Was erst als ein schwirrender Reigen von Eigentlichem und Uneigentlichem beginnt und inhaltlich wie technisch ausgefeilt wirkt, das bekommt mit dem Auftreten des Zauberers eine problematische Wende. Die Ebenen und Figuren überschneiden sich mal wieder, man könnte sagen, sie überschlagen sich. Anklänge an den Tod in Venedig und Luchino Viscontis Verfilmung von 1969 bleiben dann bei der Knabenliebe hängen, wobei nicht mehr klar ist, wer denn da spricht. Ob es nun der Zauberer oder Aschenbach oder Visconti ist, aus dem ein Gemenge von Zoten, Rechtfertigungen und Anspielungen hervorsprudelt. Als dann noch die Rolle des Klaus mit der eines Stricher-Jungen verschmilzt, den Erika ihrem Vater von der Straße geholt haben soll, driftet das Stück vom intelligenten Traumspiel zur riskanten Provokation.

Eine schwere Gestalt: Jochen Noch als der Zauberer
Bild: Heinz Holzmann

Gondeln in der Therese-Giehse-Halle

Die aufwändige Technik dieser Premiere eröffnet eine ganz neue Ebene. Durch die fünf Kameras kommen die Zuschauer:innen ganz nah an die Figuren heran und jegliche Distanz wird aufgehoben. Dadurch entwickelt Gespenster einen Sog, der die 70 Minuten wie im Flug vergehen lässt. So schaukelt die Kamera beispielsweise gemütlich auf und ab, als der Zauberer von Venedig erzählt, und nicht zuletzt wegen dem Kreischen der Möwen im Hintergrund stellt sich bei den Zuschauenden ein ganz naturalistisches Gefühl von Anwesenheit ein. Aber die Aufhebung der Distanz bringt auch eine Verantwortung im Umgang mit dem Inhalt mit sich.

Wer ist wer? Bernardo Arias Torras als Klaus / der Bruder / der Stricher und Jochen Noch als der Zauberer / Aschenbach / Visconti
Bild: Heinz Holzmann

Gratwanderung zwischen Dekonstruieren und Schockieren

Gerade bei schwierigen Themen wie Missbrauch ist der Sog ins Stück auch tückisch. Die Mono- und Dialoge des Zauberers überfluten die Zuschauer:innen in ihrer Intensität und bleiben dabei auf der Dramatik des Geschehens hängen. Den als Genie verehrten Thomas Mann von seinem Sockel zu stoßen ist hier gelungen, aber dabei ist eine angemessene Reflexion des sensiblen Themas etwas zu kurz gekommen. Insgesamt hat das Stück jedoch alles, was einen kurzweiligen Abend ausmacht: Tempo, Gefühl und Grenzgänge. Dabei fehlt nur die Sensibilität. Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer ist ein inhaltlicher Balanceakt, der aber sprachlich wie optisch überzeugt.

Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer on Vimeo

Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer wird noch einmal am 01. Februar online gezeigt, Tickets aus den beiden unterschiedlichen Perspektiven A und B gibt es ab 10€ auf der Website.

Regie: Bernhard Mikeska / Autor: Lothar Kittstein

Mit: Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Svetlana Belesova, Jochen Noch

Weitere Informationen: Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer – Kammerspiele (muenchner-kammerspiele.de)