Buchkritik

Das mangelnde Licht

/ / Bild: G2 Baraniak

Die georgisch-deutsche Autorin Nino Haratischwili hat mit Das mangelnde Licht ihren fünften Roman veröffentlicht. Ein monumentales Werk über die Geschichte Georgiens, erzählt von vier Freundinnen.

Haratischwilis Stil ist einzigartig. In verblüffenden Sätzen gelingt es ihr, direkt ins Herz der Leser:innen zu treffen. Ob es an der besonders schlichten Sprache liegt, oder daran, dass sie jede menschliche Emotion zu kennen scheint (und diese auch zu transportieren weiß). Als Leser:in ist es schier unmöglich, sich vom geschriebenen Wort zu distanzieren, ohne dass ihre Sprache etwas gefühlsbetontes oder kitschiges hat. So lesen sich die über 800 Seiten beinahe spielerisch.

Ein Epos über Verrat, Krieg und Frauenfreundschaften

Das mangelnde Licht erzählt von der Freundschaft zwischen vier Mädchen, die über die Jahre besteht und aus denen irgendwann Frauen werden. Anhand dieser Freundschaft erzählt Nino Haratischwili aber auch die Geschichte ihrer Heimat, Georgien. Ein Land, das vom Bürgerkrieg erschüttert und gespalten wurde. So geschieht es parallel auch mit der Freundschaft zwischen der Icherzählerin Qeto, und ihren Gefährtinnen Dina, Nene und Ira. Als Mädchen sind sie unzertrennlich, aber als die heile Welt der Kindheit Risse bekommt, beginnt das Haus ihrer Verbundenheit zu bröckeln.

Es geht nicht um Zerstörung, sondern um Heilung

Ein Verrat und der Tod als dessen Folge treibt die Freundinnen auseinander. Nach langen Jahren des Schweigens und der Trennung treffen 2019 drei der Mädchen, die sie einmal waren, als Frauen in Brüssel aufeinander. Anlass ist die Retrospektive und Fotoausstellung ihrer verstorbenen Freundin. Die Fotografien zeigen den schmerzhaften Niedergang eines Landes, ebenso wie die Veränderungen zwischen den jungen Frauen. Alle drei haben zu jedem einzelnen Bild eine Erinnerung, ein Erlebnis oder ein Zitat der Verstorbenen im Gedächtnis. Sie versuchen gemeinsam das mangelnde Licht in die individuellen Erinnerungen zu bringen.

Ein großes Werk von Nino Haratischwili

Auch wenn bei einem so umfangreichen Buch manche Passagen langatmig wirken können, so ist es ein vollkommen rundes Epos. Dem kann nichts hinzugefügt oder weggenommen werden. Es ist die Geschichte eines Landes und seiner Frauen; es ist die Geschichte von großen Zerwürfnissen, aber vor allem ist es die Geschichte der Heilung. Der Weg dorthin ist voller Umwege und Windungen in der Psyche aller Beteiligten. Ein großes melancholisches Werk der Autorin Nino Haratischwili.

Das mangelnde Licht ist in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen, und sowohl als gebundene Ausgabe, als auch als eBook verfügbar.