Theaterkritik

The Digital Assembly

/ / Bild: Tanja Kernweiss

Können wir überhaupt noch über kontroverse Themen reden? Die Inszenierung The Digital Assembly / Die Versammlung in den Kammerspielen zeigt, wie kaputt unsere Diskussionskultur ist.

Politische Diskussion ist essentieller Bestandteil einer Demokratie. Spätestens seitdem die AfD im Bundestag sitzt, sind Vertreter rechtspopulistischer Meinungen ein unüberhörbarer Teil dieses politischen Diskurses. Aber wie geht man mit „Rechten“ um? Versucht man in den Dialog zu treten und zuzuhören? Ändert das überhaupt etwas, wo sich doch alle in Filterblasen befinden? Ist vielleicht die Lösung, gar nicht miteinander zu reden und auf Distanz zu gehen? Diese Fragen polarisieren. Unsere Gesellschaft hat bis jetzt keine eindeutige Lösung gefunden – wenn es die überhaupt gibt. Die Debatte darüber wird jedoch immer wieder geführt, auch an diesem Abend in den Kammerspielen.

Das Abendessen

Im März 2020 luden Annette Paulmann und Wiebke Puls, zwei Schauspielerinnen der Kammerspiele, vier Münchner:innen zum Abendessen ein. Vier Menschen von unterschiedlichem Alter, politischer Überzeugung und kulturellem Hintergrund, diskutieren über Politik und Gesellschaft. Über Zoom sehen die Zuschauer:innen eine Rekonstruktion des Abends. Nachgestellt wird die Runde durch Schauspieler:innen, um die Anonymität der Teilnehmer:innen zu wahren. Nur Puls und Paulmann nehmen die eigenen Rollen als Mediatorinnen ein. Das Konzept wurde in Kooperation mit der kanadischen Gruppe „Porte Parole“ entwickelt und in den Kammerspielen von Chris Abraham und Verena Regensburger umgesetzt. 

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Digitale Einführung von Dramaturg Mehdi Moradpour

Von Rassismus bis Klimawandel

Diskutiert wird über Rassismus, Antisemitismus, Feminismus, Fridays for Future, Religion, Heimat… Die Spannbreite der gesellschaftspolitisch relevanten Themen, die in einer Stunde Abendessen abgehandelt wird, ist groß. Es ist faszinierend zu beobachten wie sich, je nach Thema, zwischen den Diskutant:innen unterschiedliche Allianzen bilden. Verbindungen entstehen dort, wo man sie am wenigsten vermutet. The Digital Assembly/ Die Versammlung konfrontiert Zuschauer:innen so auf subtile Weise mit der eigenen Befangenheit. Die Art, wie das Tischgespräch geführt wird, ist aber frustrierend und nervenaufreibend. Statt miteinander zu reden, reden die Münchner:innen aneinander vorbei, gegeneinander und übereinander. Es bilden sich Fronten, immer wieder scheint die Diskussion gegen eine undurchdringbare Wand zu stoßen. Die Moderatorinnen versuchen, teils vergeblich, die Diskussion konstruktiv zu halten. Als Zuschauer:in schwankt man zwischen dem Bedürfnis mitzudiskutieren und dem, den Stream einfach stummzuschalten. Können wir überhaupt noch miteinander über Politik reden?

Hitzige Diskussionen / Bild: Tanja Kernweiss

Selbst am Tisch sitzen

In der Pause haben die Zuschauenden schließlich selbst die Möglichkeit, sich „an den Tisch“ zu setzen und mitzudiskutieren.  An diesem Abend lösen sich die Grenzen zwischen Bühne und Realität auf, und man kommt irgendwo zwischen künstlicher Inszenierung und realer Konversation an. Am virtuellen Tisch reden die Zoomteilnehmer:innen über die Tendenz in Schubladen zu denken, über eigene Erfahrungen und eben die Frage, ob man mit „Rechten“ reden soll. Aber auch hier zeichnet sich keine klare Antwort ab.

Wiebke Puls / Bild: Tanja Kernweiss

Mit Rechten reden

Und dann tun es Paulmann und Puls wirklich: Mit dem “Rechten” reden. Genauer gesagt mit Josef Schneider, der in einem vorgespielten Interview islamfeindliche Ressentiments und Sympathie mit der AfD zum Besten gibt. Sie laden ihn ein und übergeben ihm einen Brief, den sie gemeinsam mit den Teilnehmer:innen verfasst haben. Der Versuch einen Dialog zu starten scheitert. Aber die folgende Performance gibt den interessantesten Denkanstoß dieses Abends. Puls und Paulmann versuchen sich in Schneider hineinzuversetzen. Sie konfrontieren sich mit der eigenen Tendenz zur Intoleranz, gehen dem Scheitern auf den Grund und wechseln die Perspektive. The Digital Assembly / Die Versammlung fordert auf, sich kritisch mit der Diskussionskultur unserer Gesellschaft auseinandersetzen und zeigt die Komplexität der gegensätzlichen Positionen. Die Frage nach der Diskussion mit “Rechten” bleibt unklar. Doch auch ohne Antworten ist es ein Abend der faszinierend, unangenehm und oft anstrengend ist – aber nötig. 

The Digital Assembly / Die Versammlung ist am 08., 14. und 26 .Januar 2021 um jeweils 20 Uhr im Stream zu sehen. Tickets gibt es auf der Website der Kammerspiele.