radikal jung 2019

Operation Kamen

/ / Bild: Sebastian Hoppe

Wenn man eine Geschichte nur gut genug erzählt und Menschen nur zu gerne an sie glauben möchten, dann kann man für einen kurzen Moment die Realität verändern. Regisseur Florian Fischer vom Staatsschauspiel Dresden hat sich in seinem Stück “Operation Kamen” einem Täuschungsmanöver des tschechoslowakischen Geheimdiensts während des Kalten Kriegs angenommen.

Auf den grauen Sitzen des Volkstheaters liegen für jeden Zuschauer Kopfhörer bereit, denn es wird nicht nur Visuelles geben in diesem Stück, sondern auch viel Auditives. Beim Aufsetzen erklingt die Stimme von Schauspieler Lukas Rüppel, der im schwarzen Neoprenanzug auf der Bühne erscheint. “Ich muss Sie leider enttäuschen, meine Damen und Herren”, sagt er und lächelt freundlich ins Publikum, “ich bin heute Abend der einzige, den Sie hier auf der Bühne sehen werden.” Die restlichen Darsteller*innen sind nur über eine Leinwand zu sehen. Es soll ein “dokumentarischer Theaterabend” werden, der sich mit der Operation Grenzstein (“kamen”) beschäftigt. Ein Unterfangen, bei dem tschechoslowakischen Bürgern bei der Flucht zur Grenze geholfen wurde, nur um sie dort mit einem amerikanisch aussehenden Grenzhäuschen auf vermeintlich deutschem Boden zu täuschen, zu verhören und dann festnehmen zu können.

Regale voller Erinnerungen

Die Geschichte von Flucht und Täuschung wird in Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf der Leinwand gezeigt, nachgespielt von Dresdner Bürger*innen, die in die Rolle der Fliehenden schlüpfen. Zwar sind diese keine professionellen Schauspieler*innen, doch sie haben einen Hintergrund, der ihnen beim Erarbeiten der Rolle behilflich war: sie haben alle das diktatorische System der DDR miterlebt. Ihre Erfahrungen passen also gut zu der Situation in der Tschechoslowakei im Jahr 1948. Während sich die historischen Ereignisse filmisch vor dem Auge des Zuschauers entfalten, agiert Rüppel als eine Mischung aus Moderator, Fragensteller und Rolleneinnehmer. Er wandert zwischen Regalen mit Gegenständen umher, die Zeugnisse der Zeit sind: ein altes Radio, Whisky-Gläser, eine Uniform. Er verschiebt die Regale, nimmt Gegenstände heraus, lässt andere fallen und stellt dabei Fragen zur Wahrheit der Fiktion und zur erdachten Realität. Würden wir auch glauben, dass wir in der amerikanischen Besatzungszone von Deutschland sind, einfach nur weil auf der Hütte “Zollamt” steht und uns jemand Schweizer Schokolade und eine Lucky Strike anbietet? Rüppels Stimme ist teilweise ganz nah im Ohr, er flüstert und wispert in ein sogenanntes Originalkopfmikrofon, das an einem Puppenkopf befestigt ist. Dadurch erschafft er Räumlichkeit und Nähe. Doch die Möglichkeiten des räumlichen Hörens hätten besser ausgeschöpft werden können.

Eher Hörspiel als Theater?

Die Idee die Geschichten der Menschen auch auditiv zu erzählen ist an sich gut. Das Keuchen zu hören, wenn jemand rennt, das angstvolle Atmen, wenn sich jemand verstecken muss, das Bellen der Hunde, die etwas entdeckt haben. Das alles verursacht manchmal den 360°-Effekt, sodass der Zuhörer wirklich das Gefühl hat, dass ein Grenzsoldat direkt neben ihm steht. Doch viel zu oft bleibt die Wirkung aus und die Kopfhörer ergeben nur bedingt Sinn. Vielleicht hätte das Ganze als Hörspiel besser funktioniert.

Insgesamt ist “Operation Kamen” ein Theaterabend, der gute Ideen und Ansätze hat, aber im Gesamtpaket nicht ganz überzeugen kann. Zum einen ist der mediale Aufwand fragwürdig, der nur einen mäßigen auditiven Effekt hervorbringt. Zum anderen ist die historische Operation Kamen zwar interessant und schockierend, doch wer die Stückbeschreibung vorab gelesen hat, wird in der Umsetzung auf der Bühne nicht mehr wirklich überrascht.

“Operation Kamen” in der Regie von Florian Fischer vom Staatsschauspiel Dresden lief im Rahmen des radikal jung Festivals im Münchner Volkstheater.