macht:wort

Geschlechtsidentitäten – Lexikon

/ / Bild: M94.5 / Antonia Engelhardt

Das neue IGTV-Format macht:wort erklärt Begriffe und deren Kontext, um den Wortschatz hin zu einer diskriminierungsfreien Sprache zu erweitern. In Folge 04 geht es um Geschlechtsidentitäten. Im folgenden macht:wort-Lexikon wird das Thema weitergeführt und einige Begriffe noch eingehender besprochen.

Was ist Geschlechtsidentität?

Wie der Name schon sagt, bedeutet Geschlechtsidentität (auf Englisch “gender”) die eigene Identifikation mit einem Geschlecht. Bei diesem Begriff ist das entscheidende Stichwort Selbstverständnis: Die Identifikation passiert unabhängig davon, welches biologische Geschlecht auf der Geburtsurkunde eingetragen wurde. 

Geschlechtsidentitäten sind sehr vielseitig und lassen sich oft nicht klar definieren beziehungsweise voneinander abgrenzen. Dr. Michaela Koch, Geschäftsleiterin des Zentrums für Gender und Diversity in Hamburg (ZGD), hält aber eine klare Definition und Kategorisierung gar nicht für notwendig.

“Das, was Kategorien machen ist, dass sie einfache Antworten bieten. Man kann vermeintlich klar sagen ‘Das ist so und das ist so – Ich habe alles verstanden’. Und ich glaube, dass das aber eine Eingrenzung ist, und zwar eine Normierung, die eigentlich der Realität nicht Rechnung trägt.”

Dr. Michaela Koch, ZGD

Genderstudies gehen davon aus, dass das auch für vermeintlich binäre Kategorien, wie männlich und weiblich, gilt. Denn auch Mann und Frau können als vielfältiges Spektrum betrachtet werden, welches nicht so eindeutig ist, wie es in der breiten Masse interpretiert wird.

“Das ist eine Illusion, die unsere Gesellschaft strukturiert und an vielen Stellen zu Ungleichheiten führt und eben auch eine Normierung herbeiführt, die für viele Leute gar nicht angenehm ist.”

Dr. Michaela Koch, ZGD

Vielmehr sollten Menschen sich mit sich selbst auseinandersetzen und die eigene Geschlechtsidentität hinterfragen, um sich dem Thema zu nähern.

Zeichnung: Dominique Kleiner

Warum dann so viele Begriffe?

Diesen Prozess beschreibt Koch als etwas Schönes, Spannendes, womit trotzdem gewisse Unsicherheiten einhergehen. Deswegen können Kategorien oder Bezeichnungen von Geschlechtsidentitäten auch hilfreich sein. Denn die Identifikation mit einem Begriff ist gleichzeitig auch eine Gemeinsamkeit, die alle Menschen, die sich mit diesem Begriff bezeichnen, teilen. Das kann, laut Koch, zu Empowerment führen.

Im Folgenden werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Bezeichnungen für Geschlechtsidentitäten erklärt. Diese sollten aber nicht als allgemeingültig gelesen werden. Vielmehr sind sie eine Abbildung des aktuellen Verständnisses von Gender, und in ständiger Veränderung.

“Die Dinge sind fließend. Das ist eigentlich genau das, was die Genderstudies sagen. Dass Geschlechtsidentitäten weder stabil sein müssen über das gesamte Leben hinweg und sie das in der Regel auch gar nicht sind, aus meiner Sicht.”

Dr. Michaela Koch, ZGD

Cisgender

Cis ist die Geschlechtsidentität, die in der Gesellschaft als Norm wahrgenommen wird. Einer cis Frau wurde bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen und im weiteren Leben identifiziert sie sich auch mit dem Frausein. Genauso wie ein cis Mann, dessen eingetragenes männliches Geschlecht auf der Geburtsurkunde mit seiner persönlichen Identität als Mann übereinstimmt. 

Transgender

Im Gegensatz dazu steht der Begriff trans. Bei trans-Personen stimmt das zugewiesene Geschlecht bei der Geburt nicht mit dem subjektiv erlebten Geschlecht überein. Ein Mensch, dem bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, der sich aber als Frau identifiziert, ist eine Transfrau – unabhängig von den biologischen Geschlechtsmerkmalen.

Nichtbinär

Nichtbinär (auf Englisch “nonbinary” oder “genderqueer”) ist die Selbstbezeichnung von Menschen, die sich nicht explizit als Frauen oder Männer identifizieren. Stattdessen können sie beides gleichzeitig sein, sich zwischen weiblich und männlich bewegen oder sie fühlen sich weder weiblich noch männlich. Wie in der macht:wort-Folge 04 erklärt, lässt sich das auf einer zweidimensionalen Ebene gut darstellen:

zweidimensionales Spektrum

Dieser zweidimensionale Gedanke lässt erkennen, dass nichtbinär mehr ein Spektrum als ein definierter Begriff ist. In diesem Spektrum befinden sich dann weitere Geschlechtsidentitäten, von denen viele unter den Sammelbegriff nichtbinär fallen können. Auch hier darf man die verschiedenen Gender allerdings nicht als feste Konstrukte betrachten, denn viele ähneln oder überschneiden sich und lassen sich nicht klar voneinander abgrenzen. 

Die Begriffe Enbie oder Enby, ebenfalls geläufig, sind dann einfach Abkürzungen für nichtbinär, die von der englischen Aussprache von NB (= nonbinary) abgeleitet wurden.

Genderfluid

Genderfluid sind Menschen, deren Identität nicht feststeht, sondern sich ändert und zwischen verschiedenen Identitäten hin- und herbewegt. Hier ist wichtig zu verstehen, genau wie beim Begriff nichtbinär, dass die Identitäten nicht statisch sind, sondern zwischen zwei oder auch mehr Polen wandern. Diese Pole können alle möglichen anderen Identitäten sein: männlich, weiblich, bigender, neutrois, etc.

Neutrois

Der Begriff neutrois [nu.tɹɑː] wird verwendet, wenn Menschen sich außerhalb der Geschlechtsbinarität bewegen, sich also meistens mit einem neutralen Geschlecht oder gar keinem Geschlecht identifizieren. Ein anderer Begriff für neutrois ist geschlechtsneutral. Auf der zweidimensionalen Ebene wird neutrois manchmal auf einer Linie zwischen männlich und weiblich gedacht.

Agender

Menschen die agender sind, nennt man auch genderless. Sie fühlen sich keinem Geschlecht zugehörig oder können mit der Einteilung in Geschlechter einfach nichts anfangen. Agender meint aber kein neutrales Geschlecht, wie bei neutrois, sondern außerhalb der Linie zwischen männlich und weiblich, also geschlechtslos.

zweidimensionales Spektrum

Bigender

Bigender bedeutet, dass sich eine Person in zwei Geschlechtern wiederfindet – gleichzeitig oder nacheinander – also “zweigeschlechtlich” oder “doppelgeschlechtlich” ist. Zum Beispiel ein Mensch, der sich weiblich und männlich sieht oder aber auch weiblich und nichtbinär. Im Gegensatz zum Begriff nichtbinär, bei dem man zwischen Geschlechtern hin- und herpendelt, passiert bei bigender das subjektive Erleben mehrerer Geschlechter gleichzeitig und parallel zueinander. Allerdings ist sich die queere Community hier nicht ganz einig. Manche sagen, dass die beiden Geschlechtsidentitäten bei bigender auch abwechselnd auftreten können – oder die eine mal stärker als die andere.

Androgyn

Androgyn als Geschlechtsidentität meint meistens eine Mischung aus weiblich und männlich oder eine Person zwischen weiblich und männlich. Das bedeutet, dass androgyne Menschen Gefühle von Weiblichkeit und Männlichkeit haben. Das Zusammenspiel der Geschlechter kann hier ganz unterschiedlich sein: angespannt, ausgeglichen, wechselnd, o.ä.. Dadurch hat androgyn wiederum Überschneidungspunkte mit dem Begriff bigender. Wenn androgyn eine Mischung aus oder zwischen männlich und weiblich bedeutet, dann lässt sich der Begriff von neutrois abgrenzen, da letzterer von männlich und weiblich unabhängig ist.

Demigender

“Demi” bedeutet “halb” auf Französisch, heißt also, dass diese Personen sich nur teilweise mit einem Geschlecht identifizieren. Ein Demigirl sieht sich nur teilweise weiblich, ein Demiboy oder Demiguy nur teilweise männlich – unabhängig von dem Geschlecht, welches bei der Geburt zugewiesen wurde. Menschen, die demigender sind, können sich auch noch zum anderen Teil mit einem anderen Geschlecht identifizieren, das muss aber nicht sein.

Deminonbinary oder Deminby bedeutet, dass eine Person sich nur teilweise als nichtbinär identifiziert. 

Demifluid sind Menschen, deren Geschlechtsidentität teilweise genderfluid und teilweise konstant ist.

Demiflux ist ähnlich wie demifluid, mit Ausnahme dessen, dass sich nicht das Gender sondern nur die Intensität des Genders ändert.

Foggender

Foggender sind Menschen, deren Geschlecht aufgrund von sogenanntem “Brain Fog” (auf Deutsch “Gehirnnebel”) nicht eindeutig benennbar ist. Brain Fog ist ein Zustand, bei dem sich der Kopf vernebelt anfühlt und Symptome wie Konzentrationsschwäche, Verwirrtheit, Müdigkeit und Kopfschmerzen auftreten können. In der Medizin wird angenommen, dass diese Gefühle durch kleine Entzündungen im Gehirn entstehen, das ist allerdings nicht belegt.

Foggender kann – wie demigender – mit anderen Geschlechtsidentitäten kombiniert werden, z.B. Foggirl (weibliches vernebeltes Geschlecht), Fogboy (männliches vernebeltes Geschlecht), Fogfluid (vernebelte Genderfluidität), Fognonbinary (vernebeltes nichtbinäres Geschlecht).

Pangender

Pangender ist die Geschlechtsidentität einer Person, die alle Identitäten zur gleichen Zeit hat, also männlich, weiblich, bekannte und unbekannte Geschlechter. Dieser Begriff wird mittlerweile allerding kritisch diskutiert, da eine Person somit auch Geschlechter beanspruchen kann, die gar nicht auf sie zutreffen. Zum Beispiel wird der Begriff “Autgender” von autistischen Menschen verwendet, die ihre Geschlechtsidentität als stark vom Autismus geprägt wahrnehmen. Als nicht autistische Person kann man diese Identität nicht mitbeanspruchen. Deshalb kann als Alternative zu Pangender auch Maxigender verwendet werden, was alle einer Person zur Verfügung stehenden Geschlechtsidentitäten meint.

Xenogender

Xenogender beschreibt Geschlechtsidentitäten, die losgelöst von den Konzepten der binären Geschlechter männlich und weiblich sind und in Bezug zu anderen Konzepten wie Farben, der Natur oder etwas nicht-Menschlichem stehen, die die meisten Menschen nicht mit dem Geschlecht verbinden würden.

Weitere Geschlechtsidentitäten

Wer noch mehr Infos haben will, kann sich auf der Seite des Nichtbinär-Wiki (deutschsprachig) und auf die Seite des LGBT project wiki (englischsprachig) umschauen. Dort wird versucht, die fließenden Gender zu kategorisieren.
But remember: 


“Trotzdem ist Geschlechtsidentität nichts, was auf ewig festgelegt wird. Und deshalb würde ich sagen, die Leute, die auf der Suche sind: Bitte tut das, schließt euch zusammen, findet neue Begriffe, seid nett zueinander und tut das, was euch gut tut.”

Dr. Michaela Koch, ZGD

Weitere Quellen zur Information: