So funktioniert Musiktherapie

Die Wechselwirkung von Musik und Psyche

/ / Bild: M94.5

Ein Leben ohne Musik? Für viele Menschen kaum vorstellbar. Als Begleitung auf dem Weg zur Uni, beim Autofahren oder beim Sport unterstützt sie Stimmung und Gemüt. Auch daheim in Zeiten der Coronakrise hören besonders viele Leute Musik, um sich wohler zu fühlen. Doch warum ist das so? Die Antwort darauf steckt tief im menschlichen Gehirn.

Mehr als nur ein belangloses Hintergrundgeräusch

Musik kann einen zum Weinen bringen, glücklich machen und sogar Angst einflößen. Die Forschung versucht schon länger, diese starke Wirkung durch biologische Vorgänge zu erklären. Das für Gefühle zuständige limbische System im Gehirn wird demnach angeregt. Je nach Art der Musik, die man hört, werden verschiedene Hormone ausgeschüttet – Adrenalin bei schneller und aggressiver Musik und Noradrenalin bei sanften und ruhigen Klängen. Letztere können so unter anderem die Ausschüttung von Stresshormonen verringern.

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Mit Hilfe von Musik lassen sich z.B. Schlafzyklen regulieren.

Zudem schütten Rhythmen vermehrt den Neurotransmitter Dopamin aus, der eine wichtige Rolle im Belohnungssystem des Gehirns spielt und motivierend wirkt. Da das primitivere limbische System evolutionär bedingt noch vor dem Denken steht, kann es beim Musizieren sogar zu tranceähnlichen Zuständen kommen.

Erinnerung durch Töne

Genau mit diesem Phänomen arbeitet die Musiktherapie: Bei einer Erkrankung nehmen Expert*innen im gemeinsamen dialogischen Musizieren die unmittelbaren Reaktionen des Patient*innen wahr. Diese können als Hinweise dienen, um fachkundig und heilungsorientiert genauer hinzuhören. Das aktive und improvisierte Musikspielen zusammen mit den Patient*innen lässt Muster erkennen, die im Gespräch nicht sichtbar geworden wären.

Dass sich Musik auf die Psyche auswirkt, belegen laut Prof. Lutz Neugebauer, dem Vorsitzenden des Verbandes deutscher Musiktherapeuten, bildgebende Verfahren. Bei diesen Versuchen werden die Hinströme von Menschen, die Musik hören, aufgezeichnet. Im Nachhinein lassen sich deutliche Einflüsse feststellen. Musiktherapie ist der gezielte Einsatz von Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit.

“Ein Mensch, der nicht mehr ansprechbar ist, könnte, wenn Sie ihn ansingen, ganz anders reagieren.”

Prof. Lutz Neugebauer

Deshalb findet Musik in der Medizin, in der Psychiatrie und in der Schmerztherapie Einsatz. Der stetige Gedankenstrom kann bei bewusster Musikwahrnehmung abreißen – eine wohltuende Pause, in der die Musik oft an persönliche Ereignisse gebunden ist. Wird sie erneut gehört, dann kommen auch die Erinnerungen an erlebte Situationen wieder – genau wie dabei empfundene Gefühle. In diesem Zusammenhang funktioniert Musik wie eine Art Sprache, in der bestimmte Ereignisse kodiert sind. Das zeigt sich besonders deutlich in der Filmmusik.

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Musik für Horrorfilme kreiert unterbewusste Bilder des Schreckens

Rhythmus fürs Gehirn

“Musik und Sprache hat eine enge Bindung, das geht immer” sagt Lutz Neugebauer. Über Übungen der Atmung und Feinmotorik lassen sich psychosomatische Begleiterscheinungen jener Patient*innen lindern, die bereits an einer Demenz leiden. Durch den jeweiligen Kontext der Hörsituation kann eine Melodie, ähnlich einem Geruch, emotionale Befindlichkeiten wieder nach vorne treten lassen. Eine längerfristige Wirkung entsteht, wenn Musik und Kontext meist unterbewusst miteinander gekoppelt werden. “Viele Schlaganfallpatient*innen können noch singen, auch wenn Sie die Sprache verloren haben”, so Neugebauer. Die Rhythmen sprechen unterschiedliche Gehirnareale an, nehmen einen positiven Einfluss auf den unbewussten Bewegungsdrang der Patient*innen und unterstützen auch Kinder in ihrer Entwicklung.

Alltagstauglich

Laut Lutz Neugebauer können Menschen sich aber auch selbst stückweise therapieren. Er rät zunächst dazu, das Hören von Musik gezielt und aktiv als eigenständige Tätigkeit wahrzunehmen. Laufe ständig Musik, auch im Hintergrund bei allen möglichen Beschäftigungen, komme man in die Gefahr, sich selbst abzulenken, oder sogar zu stressen.

“Musik ist nur dann wirkungsvoll, wenn sie im Gegensatz zu einer Ruhe steht”, betont Herr Neugebauer. Man müsse auch mal abschalten und die Stille der Pausen genießen. Danach dürfe man die Musik dann aber ruhig wieder aufdrehen!