Trinkgeldkrise

Das ewige Leid mit dem Trinkgeld 

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10 Prozent, 15 Prozent, oder doch gar nichts? Die Frage, wie viel Trinkgeld gegeben werden soll, steht bei jedem Restaurant-, Bar- oder Kneipenbesuch in den leicht erröteten Gesichtern der Gäst:innen geschrieben. Krisen wie Corona und die Inflation machen das Ganze nicht einfacher.

Denn die Preise für Lebensmittel und Energie treiben die Inflation im Oktober auf ein neues Rekordhoch: 10,4 Prozent, der damit stärkste Anstieg in den letzten 70 Jahren. Für die Verbraucher:innen zeichnet sich ein harter Winter ab.  

Auch sind viele wegen der Corona-Pandemie nach wie vor vorsichtig, gehen weniger aus als früher. Für die Branche hat dies schwerwiegende Auswirkungen: die Einnahmen bleiben aus. Gerade das Servicepersonal bekommt die Einbußen besonders zu spüren. Denn viele Gäst:innen lassen vermehrt das Trinkgeld, den kleinen Bonus zum Gehalt des Servicepersonals, niedriger ausfallen oder gar ganz weg.

“Passt scho!”, “Stimmt so!”, aber stimmt’s Trinkgeld wirklich?  

Hierzulande gilt die generelle Faustregel von 5 bis 10 Prozent als ein kleines finanzielles Dankeschön an die Bedienung. “Das muss man sich aber auch verdienen”, heißt es da oft. Viele machen die Höhe des Trinkgelds vom Service und der Freundlichkeit der Bedienung abhängig. So wird Trinkgeld geben im Allgemeinen als eine eher freiwillige Geste, die eben zum guten Ton gehört, gesehen. 

Für das Servicepersonal bedeutet es eher: 

Trinkgeld ist für mich ein großer Motivationsschub, einen guten Service zu leisten, wenn ich weiß, dass ich am Ende etwas zurückbekomme. Außerdem sind viele meiner Kolleg:innen auf das kleine Extrageld angewiesen, da sie nur den Mindestlohn verdienen.

Asya Fröhlich, arbeitet als Kellnerin im WESTEND

Trinkgeld mit EC-Karte  

Nachdem wir durch die Corona-Pandemie mehr oder weniger gezwungen wurden, mit Karte zu zahlen, tun dies mittlerweile auch viele Gäst:innen der Gastronomie. Einfach die Rechnung mit Trinkgeld aufrunden, Karte hinhalten oder einstecken, fertig. Dabei kommt das Trinkgeld in einen gemeinsamen Trinkgeld-Topf, welcher dann auf das gesamte Personal aufgeteilt wird. Dadurch kriegen auch die Mitarbeiter:innen, die in der Küche stehen, etwas ab und nicht nur die, die kassieren. Bei dieser Option muss man aber darauf vertrauen, dass die Lokalbetreiber:innen fair mit ihren Angestellten umgehen und das Trinkgeld auch tatsächlich aufteilen – was nicht immer der Fall ist.  

Die zweite Möglichkeit ist, die eigentliche Rechnung mit der EC-Karte zu zahlen und das Trinkgeld getrennt davon der Servicekraft in bar zuzustecken. Diese Option ist bei den Angestellten beliebter, denn das Geld kommt mit Sicherheit an. 

Zu wenig Trinkgeld: Eine neue Art der Demütigung(?) 

Durch die Inflation und die steigenden Heiz- und Lebensmittelkosten neigen viele Menschen nun dazu, auch beim Trinkgeld zu sparen und den zu zahlenden Betrag lediglich geringfügig aufzurunden bzw. auch mal gar kein Trinkgeld dazulassen.  

Die meisten Gäst:innen geben zurzeit viel weniger Trinkgeld beziehungsweise runden den Betrag meistens nur auf.

Andererseits gibt es aber auch vereinzelt Gäst:innen, die mehr Trinkgeld als üblich da lassen, weil ihnen bewusst ist, wie hart die Kellner:innen arbeiten.

Asya Fröhlich, arbeitet als Kellnerin im WESTEND

Symptom eines Systemfehlers 

Um einen guten Service zu gewährleisten, bedarf es an genügend Personal. Dieses fehlt jedoch aufgrund von mehreren Faktoren. So gelten Beschäftigte in der Gastronomie laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes aus dem letzten Jahr mit einem durchschnittlichen Bruttolohn von 2.156 Euro als Geringverdiener:innen. 

Neben dem geringen Lohn gibt es zudem immer wieder Arbeitnehmer:innen, die regelmäßig 15-Stunden-Schichten wuppen müssen, obwohl es de facto per Gesetz verboten ist. Diese Belastungen können auf lange Sicht zu Erkrankungen und sogar zur Arbeitsunfähigkeit führen.  

Dies sorgt wiederum dafür, dass die sowieso schon wenigen Beschäftigten dazu gezwungen sind, mehr Leistung zu erbringen als es ihnen tatsächlich möglich ist. Dies äußert sich dann schlussendlich im schlechten Service, welcher wiederum zu noch weniger Trinkgeld führt. Ein Teufelskreis. 

Dies heißt jedoch nicht, dass der Gast für das finanzielle Überleben der Servicekräfte verantwortlich ist. Diese Verantwortung liegt bei den Arbeitgeber:innen, welche ihr Personal fair bezahlen müssen und auf ihrer Sicherheit zu achten haben.