Kommentar

Warum positive Nachrichten die Krise nicht weniger ernst machen

/ / Bildquelle: Shutterstock.com

Aus den positiven Effekten des Coronavirus Hoffnung zu schöpfen, mag den Alltag in der Isolation erhellen, ist aber nicht nur zu kurzfristig gedacht, sondern auch lediglich aus einer sehr privilegierten Sicht möglich. Dass diese Veränderungen auf Kosten der Gesundheit und des Lebens anderer, der Gefährdung ganzer Existenzen und der harten Arbeit von Menschen in systemrelevanten Berufen ermöglicht wurden, gerät dabei häufig in den Hintergrund. Ein Kommentar von Anahí Sanchez.

Klare Kanäle in Venedig, Chinas CO2-Ausstoß sinkt und die Menschen daheim finden in der Isolation endlich wieder zu sich und verbringen mehr Zeit mit ihren Lieben. Auch so wird die momentane Ausnahmesituation auf diesem Planeten beschrieben. Aber halt. Waren wir nicht gerade noch mitten in der „Coronakrise“? Richtig. Wir befinden uns in Krisenzeiten. Dennoch berichten Medien oder auch Menschen in sozialen Medien über die positiven Seiten der Pandemie.

Smog-Belastung geht zurück
In den vergangenen Wintern hatte China bislang mit hoher Smog-Belastung zu kämpfen – doch in diesem Jahr ist das anders. Wie Satellitenbilder der Nasa zeigen, ist die Luftverschmutzung über dem Land drastisch gesunken. Zu verdanken ist das in gewisser Weise dem Coronavirus. 

Redaktionsnetzwerk Deutschland, 14. März 2020

Zeit für unerledigte Dinge
Social Distancing, also das Isoliertsein von anderen Menschen, führt auch dazu, dass mehr Zeit für lang aufgeschobene Dinge bleibt: Fotos sortieren, an der Steuererklärung arbeiten, Telefonate mit Freunden und Bekannten führen, Brettspiele mit der Familie spielen oder im Garten arbeiten.

ZDF, 17. März 2020

Es ist verständlich, dass diese ernsten Zeiten dazu verleiten, neben den offensichtlichen verheerenden Folgen der Covid-19-Pandemie auch Positives in den (sozialen) Medien zu teilen. Die positiven Folgen fürs Klima beispielsweise sind bei genauerer Betrachtung allerdings mit Vorsicht zu genießen.

Große Pause für das Klima

Die Menschen bleiben zu Hause und das Klima erholt sich. Das hat es so auch schon beispielsweise auch während der Finanzkrise 2008 gegeben. Damals hat uns der sogenannte „Rebound-Effekt“ gelehrt, dass so eine Erholung nicht unbedingt nachhaltig sein muss. Ein Sprecher des Umweltbundesamtes erklärt, dass der eingeschränkte Konsum nach Krisen oder Epidemien häufig nachgeholt werde. Auch in der jetzigen Situation sollten wir uns nicht damit zufriedengeben, dass wir „dank“ der Krise vielleicht doch noch Klimaziele einhalten können, auf die wir eigentlich freiwillig hätten hinarbeiten müssen. Die Gefahr ist hoch, dass wir uns von den kurzzeitig positiven Effekten in Sicherheit wiegen lassen und sobald wir wieder raus können genau so weiter machen wie davor. Ob uns nach der Krise die Bilder von erneut verdreckten Kanälen und steigenden CO2-Emissionen genauso beeindrucken werden wie die der sich erholenden Umwelt, ist fraglich. Aktionismus gründet sich auf langfristigen Missständen. Diese zu verschleiern, wäre verheerend.

Isolation als Selbstfindungstool

Während der Coronakrise erholt sich angeblich nicht nur das Klima. Auch soll die momentane Situation dazu beitragen können, dass wir durch die Isolation den eigenen Alltag entschleunigen. Die Wohnung umgestalten, die Lieblingsserie fertig schauen und endlich mal die verstaubte Yogamatte auspacken. Zu Hause bleiben statt ins Kino, an die Isar oder in die Lieblingsbar zu gehen. Darin sollen wir alle möglichen neuen Beschäftigungsmöglichkeiten finden. Auf Social Media springen einen von verschiedenen Seiten fast schon esoterisch anmutende Aufrufe zur Entschleunigung und Selbstfindung an.

https://www.instagram.com/p/B-JoDpjKn1l/

Das Gedicht von Kitty O’Meara, eine Lehrerin im Ruhestand aus Wisconsin, hat viele bewegt und ist inzwischen viral gegangen. Kunstformen und Berichte dieser Art sind der Versuch, etwas Positives aus der aktuell belastenden Situation zu ziehen. Das ist weder verwerflich noch verwunderlich. Problematisch daran ist allerdings, dass diese Art der Einstellung einerseits unterschlägt, dass die Gesunden unter uns vor der Krise das Privileg eines normalen Alltags genießen und sich mit Entschleunigung beschäftigen dürfen. Andererseits romantisiert sie die Isolation, die für viele Menschen aus der Risikogruppe fester Bestandteil ihres Lebens ist.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Dass diejenigen, die durch die Coronakrise mehr Zeit zu Hause verbringen, diese nutzen, um Dinge zu tun, für die sonst keine Zeit bleibt, ist selbstverständlich. Es geht auch nicht darum, ein Spaßverbot während der Isolationszeit zu verhängen, damit wäre niemandem geholfen. Dennoch sollten sich gesunde Menschen dabei bewusst sein, dass Isolation kein neuer Trend ist, um sich selbst zu finden, sondern Teil unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Im Vordergrund sollte nicht eine möglichst spaßige Zeit stehen, sondern der Schutz der Gesundheit aller und ganz besonders der Gefährdeten. Denn das Leben derjenigen, die die Krise wirklich hart trifft, ist nicht entschleunigt, sondern erfährt häufig eine so nie da gewesene Dramatik.

Produktivität im Pyjama vs. Realität

Während das Homeoffice aus der Isolation einigen Leuten gemütliche Produktivität in den eigenen vier Wänden verspricht, scheiden sich die Geister, inwieweit das Arbeiten von zu Hause tatsächlich effektiver ist und den Arbeitnehmer dabei glücklicher macht. Fest steht aber, wer in diesen Tagen von zu Hause arbeiten kann, der sollte das auch. Doch diese Wahlmöglichkeit haben eben nicht alle. Beschäftigte im Gesundheitswesen, Supermarkt-Angestellte, Sozialarbeitende und all diejenigen deren Arbeit als „systemrelevant“ eingestuft wurde, können sich nicht dafür entscheiden, zu Hause zu bleiben. Und auch wenn Aktionen wie das solidarische Klatschen am Fenster Herzensgesten sind, wäre es wichtiger, diesen Gruppen nicht nur in kritischen Zeiten wie diesen die Aufmerksamkeit und Anerkennung zu schenken, die sie jeden Tag für ihre wichtige Arbeit verdient haben. Die aktuelle Situation zeigt, auf wen wir im alltäglichen Leben nicht verzichten können: Diejenigen, die häufig nicht nur sozial wenig akzeptiert sind, wie beispielsweise Supermarktangestellte, sondern auch unterbezahlt und chronisch überlastet sind, wie Pflegekräfte oder Sozialarbeitende. Kurzfristiger Aktionismus bringt hier ebenso wenig wie beim Klima. Eine langfristige Verbesserung der Situation für die Betroffenen darf nicht unter dem Jubel der Held*innen-Verehrung verloren gehen.

„Es ist ernst. Nehmen Sie es ernst.“

In schweren Zeiten nach Positivem zu suchen ist menschlich. Jeder versucht sich dieser Tage gesund durch den Alltag zwischen Pandemie und Isolation zu bringen. Die Konsequenz aus den erdrückenden Nachrichten von Ansteckungs- und Totenzahlen sollte keinesfalls sein, in stiller Trauer sein Dasein in der Selbstisolation zu fristen. Sich allerdings durch positive Nachrichten wie Auswirkungen auf das Klima ablenken zu lassen, kann bei zu wenig Differenzierung dazu führen, den Ernst der Lage einerseits zu verschleiern und andererseits in den Hintergrund zu drängen, zu welchem Preis diese kurzfristigen Besserungen erreicht wurden. Das kann schnell zynisch wirken und geht am eigentlichen Ziel einer Krisenbekämpfung weit vorbei.